02 die Vorgeschichte, die Jahre von 1920 bis 1933

 

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Geschichte der DRG - später DRB

Einleitung

Aufgaben/Organisation:

1. Die Verwaltung der deutschen Eisenbahnen bis 1920 Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 18. April 1871 hatte in ihrem Artikel 41 erstmals den Gedanken der einheitlichen Leitung der Eisenbahnen formuliert. An Reichsbehörden, die ausschließlich für Eisenbahnangelegenheiten zuständig waren, gab es vor 1920 aber nur das Reichseisenbahnamt (vgl. Bestand R 4101), das lediglich als Aufsichtsbehörde für alle deutschen Staats- und Privatbahnen fungierte und das Reichsamt für die Verwaltung der Reichseisenbahnen (vgl. Bestand R 4201). Diese Behörde verwaltete die 1871 von Frankreich übernommenen elsaß-lothringischen Eisenbahnen, die somit bis 1920 die einzigen Reichseisenbahnen darstellten. Im Übrigen waren bis 1920 für das Verkehrswesen in der Regel die deutschen Bundesstaaten mit den verschiedensten Ministerien zuständig. [1]

In die Kompetenz des Reiches fielen somit nur die Gesetzgebung und die Oberaufsicht über die Eisenbahnen, nicht aber deren Bau und Betrieb, denn die Eisenbahnen in den deutschen Bundesstaaten waren zunächst meist Staatsbahnen, nur in Preußen und Sachsen existierten anfangs überwiegend Privatbahnen. Das erschwerte schon ihre landesinterne Koordination. Noch schwieriger war es, den Verkehr aufeinander abzustimmen, wenn er die Landesgrenzen überschritt. Hierfür war als Koordinierungsgremium von Staats- und größeren Privatbahnen bereits 1847 der Verein Deutscher Eisenbahnverwaltungen gegründet worden (vgl. Bestand R 4307). [2] Trotz dieser notwendigen Kooperation waren die Eisenbahnverwaltungen der Länder selbständig und unabhängig, was sich in eigenen Hoheitszeichen und Uniformen sowie eigenen Dienst- und Gehaltsordnungen ausdrückte.

Reichskanzler von Bismarck hatte vergeblich versucht, die deutschen Eisenbahnen in der Hand des Reiches zu vereinigen. Süddeutsche Bedenken gegen eine Vormachtstellung Preußens verhinderten 1875 die Zusammenfassung der Bahnen in einer Hand und ihren Ankauf durch das Deutsche Reich. In größerem Umfang fand nur in Preußen eine Verstaatlichungsaktion statt, so dass dort im Jahre 1900 das Streckennetz der Privatbahnen nur noch ca. 2.300 km, dagegen das der Staatsbahnen mehr als 33.000 km umfasste. [3] Der einzige Zusammenschluss vor 1920 war die 1896/97 abgeschlossene Finanz- und Betriebsgemeinschaft der hessischen Eisenbahnen mit der preußischen Staatsbahnverwaltung.

Ein ständig steigendes Transportvolumen, der technische Fortschritt, die stabilen politischen Verhältnisse und die Geldwertstabilität bewirkten, dass die Zeit bis zum Ersten Weltkrieg die größte Wachstumsphase der deutschen Bahnen war. Das Streckennetz erreichte 1913 mit Ausnahme der Kleinbahnen (immerhin über 10.000 Kilometer) mehr als 63.000 Kilometer; das bedeutete einen Zuwachs seit 1895 um mehr als 17.000. [4] Bis 1914 erzielten die Länderbahnen große Gewinne und finanzierten sogar die einzelnen Staatshaushalte zu einem großen Teil. Prächtige Bahnhöfe, luxuriöse Hofzüge und viele Eisenbahner-Wohnsiedlungen wurden gebaut. Es kam zu Annäherungen der deutschen Bahnverwaltungen, so z.B. durch eine gemeinsame Bau- und Betriebsordnung (1904), einen einheitlichen Personen- und Gepäcktarif (1907) und die Gründung des Staatsbahnwagenverbandes (1909).

Da die Mobilmachung zu Beginn des Ersten Weltkrieges alle Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft traf und deren Unterstellung unter militärische Bedürfnisse und Zielsetzungen bedeutete, wurden auch die Eisenbahnen weitgehend militärischen Kommandostrukturen unterworfen - was seit langem detailliert vorbereitet worden war. Die Durchführung von Truppenbewegungen und die Versorgung der Heere beherrschten zwischen 1914 und 1918 den Bahnbetrieb, weshalb der Erste Weltkrieg auch als "Eisenbahnkrieg" bezeichnet wurde. [5] An der Spitze stand die Eisenbahnabteilung beim "Chef des Feldeisenbahnwesens" unter dem späteren Reichsverkehrsminister Wilhelm Groener. Mit der Funktion dieser Behörde war zugleich ein bedeutender Schritt in Richtung Reichsbahn getan. Durch die Zentralisation des Eisenbahnwesens für die Zwecke des Krieges traten die länderspezifischen Eigenheiten der Bahnen zunehmend in den Hintergrund. Auch auf dem zivilen Sektor gab es Ansätze für eine Zentralisation: Nachdem die Verkehrsprobleme im Krieg immer größer geworden waren, forderten u.a. auch nationalliberale und sozialdemokratische Abgeordnete des Reichstages die zentral verwaltete Reichsbahn.

Die Folgen des Ersten Weltkrieges waren für die Eisenbahnen in mehrfacher Hinsicht katastrophal. Obwohl das Schienennetz nicht durch Kriegshandlungen zerstört war, ging die Überlastung der Bahnen an die materielle Substanz und dementsprechend befanden sich zum Kriegsende viele Lokomotiven und Wagen sowie die Gleisanlagen in einem maroden Zustand. 1918/19 kam es zeitweise zum Stillstand im Eisenbahnbetrieb. [6] Hinzu kam die Ausführung des Waffenstillstandsabkommens, demzufolge die Länderbahnen bis Mai 1919 insgesamt 5.000 fahrtüchtige Lokomotiven (ein Fünftel des Gesamtbestandes), 20.000 Personenwagen und 150.000 Güterwagen an die Siegermächte der Entente abzugeben hatten. [7]

Mit der sich abzeichnenden militärischen Niederlage Deutschlands forderten nicht mehr nur politische Parteien, sondern auch in zunehmendem Maße Vertreter von Handel und Industrie eine Zentralisation des Eisenbahnwesens. In mehreren Konferenzen der Vertreter aller Länderbahnen zwischen Juni 1918 - Januar 1919 (in Wiesbaden, Heidelberg und Ulm) zeichnete sich immer deutlicher ab, dass das alte Staatsbahnsystem politisch und auch ökonomisch nicht mehr zu halten war. Vor allem die bayerische Staatsregierung wollte sich allerdings "lebenswichtige Sonderrechte" wie das Eigentum und die Nutzung der Staatsbahn nicht nehmen lassen. Nach dem Ausbruch der Novemberrevolution und der Ausrufung der Republik waren sowohl die Mehrzahl der Abgeordneten der Nationalversammlung als auch wortgewaltige Vertreter der Industrie und der Fachpresse der Ansicht, dass nur eine Vereinheitlichung der Eisenbahnen die enormen verkehrstechnischen und wirtschaftlichen Probleme würde lösen können.

Schließlich bestimmte die Weimarer Verfasssung vom 11. August 1919 in ihren Artikeln 89 bis 96 und 171, dass die Eisenbahnen des allgemeinen Verkehrs spätestens bis zum 1. April 1921 in das Eigentum des Reiches übergehen und als einheitliche "Verkehrsanstalt" verwaltet werden sollten. Zur Wahrnehmung dieser und anderer Aufgaben [8] ordnete Reichspräsident Ebert am 21. Juni 1919 die Bildung des Reichsverkehrsministeriums (künftig: RVM) an. [9] Besonders die Eisenbahn als wichtigstes Vermögensobjekt des Reiches machten das RVM zu einer "Schlüsselverwaltung". [10] Nicht nur die Betriebsschwierigkeiten, sondern auch die sich dramatisch verschlechternde Finanzsituation der Länder ließen es opportun erscheinen, den Verfassungsauftrag schnell zu realisieren. Nach langwierigen und schwierigen Verhandlungen, bei denen es vor allem um die Länderentschädigung, also den "Kaufpreis" für die Bahnen ging, wurde zwischen der Reichsregierung und den acht deutschen Ländern mit Staatsbahnbesitz (Preußen, Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, Hessen, Mecklenburg-Schwerin und Oldenburg) ein Staatsvertrag [11] geschlossen, der bereits mit Wirkung vom 1. April 1920 (also genau ein Jahr früher als in der Verfassung vorgesehen) [12] in Kraft trat und die "Verreichlichung" der Staatseisenbahnen besiegelte.

Dies war die erste von vier grundlegenden Änderungen in der Eisenbahnverfassung Deutschlands von 1920 bis 1945. Es bleibt festzuhalten, dass sich die Länder im Staatsvertrag und einem Zusatzprotokoll einige Auflagen und Mitwirkungsrechte gesichert hatten, wie z.B. die Entsendung eigener Beamter in den Verwaltungsrat (s.u.) und besondere Kompetenzen für die Reichsbahndirektionen. [13]

2. Die Deutsche Reichsbahn 1920 - 1924

Der 1. April 1920 gilt als der Geburtstag der Deutschen Reichsbahn. Die Verwaltungsorganisation der bisherigen Staatsbahnen blieb zunächst fast unverändert bestehen:

Die früheren Landeseisenbahndienststellen - von nun an Reichsbehörden - wurden nur teils in 5 Zweigstellen des RVM (wie in den meisten Ländern) umbenannt, teils die bisherigen Bezeichnungen Eisenbahn-Generaldirektion (wie in Mecklenburg) oder Eisenbahn-Direktion (wie in Oldenburg) beibehalten. Wegen des bereits erwähnten Zusammenschlusses von 1897 gab es für Preußen und Hessen eine gemeinsame Zweigstelle. Die Zweigstellen in Baden, Württemberg und Sachsen wurden zum Jahresende 1920 aufgelöst und ihre Geschäfte entweder vom RVM oder von Reichsbahndirektionen (RBD, s.u. unter 5.2) übernommen. Die Zweigstelle Preußen-Hessen gab es noch bis 1923, während die Zweigstelle Bayern sogar noch bis 1933 existierte, seit 1924 als "Gruppenverwaltung Bayern"(s.u. unter 5.2). Neu eingerichtet wurden anstatt der Kriegsbetriebsleitung drei Oberbetriebsleitungen (s.u. unter 5.1).

Im Staatsvertrag hatte sich das Reich verpflichtet, das gesamte Eisenbahnpersonal der Länder zu übernehmen. Da auch die Bahnangestellten aus den verlorenen Gebieten und die Lohnarbeiter aus Kriegszeiten übernommen wurden, war die Reichsbahn mit mehr als einer Million Beschäftigten zum größten Arbeitgeber der Weimarer Republik geworden. [14] Das Reich übernahm die Eisenbahnschulden aus den Jahren 1914 bis 1920 und stellte die Länder rückwirkend von den kriegsbedingten Sonderbelastungen frei. Damit wurden zwar die Haushalte der Länder von den zunehmenden Betriebsdefiziten der Eisenbahn entlastet, sie verloren aber auf längere Sicht eine nicht unbedeutende Einnahmequelle. Mit der Abschaffung der Akkordarbeit, der Einführung des Achtstundentages und den Mitbestimmungsrechten der Betriebs- und Beamtenräte "war die Reichsbahn zu einem Modell eines am Sozialstaat und der Republik orientierten Unternehmens geworden." [15]

Zur Ankurbelung der Wirtschaft und zur Sicherung von Arbeitsplätzen vergab die Reichsbahn umfangreiche Beschaffungs- und Reparaturaufträge für Lokomotiven, Güterwaggons und Personenwagen, so dass die Ausgaben die Einnahmen weit übertrafen und der Staatsbetrieb ein wachsendes Defizit vor sich herschob. Um das Defizit abzubauen, wurden die Tarife im Güter- und Personenverkehr der Inflation angepasst, die Zahl der Beschäftigten reduziert [16] und der Bau von neuen Eisenbahnlinien weitgehend eingestellt. Durch Modernisierungen und die allmähliche Anpassung an den infolge der neuen Reichsgrenzen veränderten Verlauf der Verkehrsströme konnte eine Steigerung der Transportleistung erreicht werden und es zeichnete sich Anfang 1922 eine Entspannung bei der wirtschaftlichen Lage der Reichsbahn ab. Die Hoffnungen auf eine endgültige Überwindung der Krise wurden jedoch durch das Einsetzen der Hyperinflation und die Ruhrbesetzung schnell zerstört.

Die Ruhrbesetzung ab Januar 1923 hatte große Bedeutung für die Reichsbahngeschichte, denn dieses Ballungsgebiet war nicht nur das wirtschaftliche Zentrum Deutschlands, sondern auch die wichtigste Verkehrsregion der Reichsbahn. Die meisten Eisenbahnverbindungen zwischen den besetzten und unbesetzten Gebieten wurden durch den Truppeneinmarsch unterbrochen. Daraufhin rief die Reichsregierung zum passiven Widerstand auf und die Eisenbahner wurden angewiesen, Befehle und Anordnungen der Besatzer nicht zu befolgen. Frankreich und Belgien reagierten mit der Einrichtung einer "Regie der Eisenbahnen in den besetzten Gebieten" (kurz: Regiebahn) [17] ab 1. März 1923. Der passive Widerstand war auf Dauer nicht durchzuhalten und wurde im September 1923 abgebrochen, denn die deutsche Wirtschaft stand vor dem Zusammenbruch und auch die Reichsbahn konnte diese Notlage auf Dauer nicht verkraften. Die Inflation erreichte astronomische Dimensionen. [18] Die Aufgabe des passiven Widerstandes war eine Voraussetzung für das Einlenken der Alliierten in der Reparationsfrage. Mit der Einführung der Rentenmark am 15. November 1923 wurde die Grundlage für einen stabilen Geldwert und damit für eine Regelung des Reparationsproblems geschaffen. Im gleichen Monat begannen zwei unabhängige Sachverständigenkommissionen mit der Überprüfung der Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und der Erarbeitung von Vorschlägen für die Reparationszahlungen.

Die Finanzierung der Reichsbahn war zunächst wie die der übrigen Reichsverwaltung über den Reichshaushalt erfolgt. Mit der Notverordnung über die Schaffung eines Unternehmens Deutsche Reichsbahn vom 12. Februar 1924 [19] wurde die Reichsbahn aus dem Reichshaushalt ausgegliedert und als selbständiges Wirtschaftsunternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit und eigenem Haushalt geführt. Hierfür waren die Unbeweglichkeit der Finanzverwaltung und der Mittelbewilligung, die Politisierung der Verwaltung und die erhebliche Überbesetzung mit Bahnpersonal maßgebend. [20] Die formale Verselbständigung veränderte jedoch die Eigentumsverhältnisse des Reiches an allen Eisenbahnen des allgemeinen Verkehrs [21] nicht, d.h. die Aufsicht auch über Privat- und Kleinbahnen, Straßen- und Schmalspurbahnen blieb nach wie vor beim Reichsverkehrsminister, der seit April 1924 [22] gleichzeitig Generaldirektor des Unternehmens Deutsche Reichsbahn war. Im RVM wurde der Teil des Ministeriums, der die Reichsbahn verwaltete, von jetzt an bis 1937 als Hauptverwaltung bezeichnet. Dies bedeutete die zweite von vier grundlegenden Änderungen in der Eisenbahnverfassung bis 1945; sie hatte jedoch nur wenige Monate Bestand, denn inzwischen wurde in der Sachverständigenkommission unter Leitung des USA-Bankiers Charles G. Dawes über die Regelung der Reparationen verhandelt. Schon im Artikel 248 des Versailler Vertrages hatte sich die deutsche Regierung dazu verpflichtet, die deutschen Eisenbahnen als Reparationspfand der Alliierten einzusetzen.

Die Kommission legte bereits im April 1924 ihre Gutachten vor, die schließlich zusammenfassend als Dawes-Plan bezeichnet wurden. Im Londoner Abkommen vom 16. August 1924 war der Text des wohl wichtigsten Dawes-Gesetzes, des "Gesetz(es) über die Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft" (kurz: Reichsbahngesetz) enthalten. [23] Dieses Gesetz hatte die dritte grundlegende Änderung in der Eisenbahnverfassung Deutschlands seit 1920 zur Folge. Sie hatte am längsten Bestand und galt im Prinzip bis 1937. In diesem Zeitraum war die oberste Spitze der Reichsbahnverwaltung gespalten in Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft (DRG) und RVM. Da die Hauptverwaltung, also die DRG, die Hauptaufgaben wahrnahm, sollen sich die folgenden Ausführungen auf sie konzentrieren und das RVM wird erst wieder ausführlich für den Zeitraum ab 1937 untersucht (s.u. Abschnitt 6.).

3. Die Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft 1924 - 1937

Der Dawes-Plan wies der Reichsbahn eine Schlüsselrolle bei der Aufbringung der Reparationen zu, denn die DRG wurde nun durch völkerrechtlichen Vertrag zwischen dem Deutschen Reich und den Siegermächten des Ersten Weltkrieges als unmittelbare Reparationsquelle herangezogen.[24] Auch die Einnahmen aus der Beförderungssteuer für Personen und Güter, die der Reichsfiskus seit 1917 erhoben hatte, waren größtenteils auf das Reparationskonto zu überweisen. Organe der Reparationskontrolle waren der Eisenbahnkommissar und der Treuhänder, die somit beide die Interessen der Reparations-Schuldverschreibungen wahrzunehmen hatten.

Der Status der Reichsbahn wurde durch das international gebundene Reichsbahngesetz und die als Bestandteil dieses Gesetzes geltende Satzung der DRG bestimmt: als deutsche Gesellschaft war sie dem deutschen Recht unterworfen, aber sie entsprach keiner der im Handelsgesetzbuch vorgesehenen Gesellschaftsformen; sie wurde nicht in das Handelsregister eingetragen und war auch keine Aktiengesellschaft, denn es gab keine Gesellschafter. Die gesamten Stammaktien gehörten dem Deutschen Reich. Die DRG verfügte über kein Sachvermögen; das ganze bewegliche und unbewegliche Vermögen, das sie bewirtschaftete - Grundeigentum, Gebäude, Bahnstrecken, Fahrzeuge - gehörte nicht ihr, sondern dem Deutschen Reich. Sie besaß nur das Betriebsrecht an den Anlagewerten, bis die Reparationslasten abgetragen sein würden (im Gesetz war dafür der 31. Dezember 1964 vorgesehen). Insofern kann die DRG charakterisiert werden als "eine Gesellschaft eigenen Rechts mit privatwirtschaftlichem Charakter, aber mit starkem öffentlich-rechtlichem Einschlag" [25]

Die DRG hatte zwei Organe, den Verwaltungsrat und den Vorstand. Der Verwaltungsrat, dessen Vorsitzender ein Deutscher sein musste, bestand aus 18 Mitgliedern, die je zur Hälfte von der Reichsregierung und vom Treuhänder zu ernennen waren. Die Rechte des Verwaltungsrats gingen weit über diejenigen des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft hinaus, denn er überwachte die gesamte Geschäftsführung der DRG und entschied über alle wichtigen oder grundsätzlichen Fragen. Er ernannte den Generaldirektor und die leitenden Beamten, die als Direktoren zugleich Leiter der Hauptabteilungen der DRG waren. Die Machtfülle des Verwaltungsrats kam auch darin zum Ausdruck, dass ihm weder Mitglieder der Reichsregierung, also auch nicht des RVM, noch Parlamentsabgeordnete angehören durften. Die Reichsregierung hatte ihre Genehmigungsrechte für die Wirtschaftsführung der Bahn an den Verwaltungsrat abgetreten.

Dem Vorstand, bestehend aus dem Generaldirektor und mehreren Direktoren, oblag die Führung der laufenden Geschäfte. An der Spitze des Vorstandes und damit zugleich an der Spitze der Reichsbahn-Hauptverwaltung stand der jeweils für drei Jahre gewählte Generaldirektor, dessen Ernennung vom Reichspräsidenten zu bestätigen war. Als oberster Leiter des größten deutschen Unternehmens besaß der Generaldirektor außerordentliche Machtbefugnisse; er nahm ungefähr die Stellung ein, die bis dahin dem Reichsverkehrsminister als Leiter der gesamten Reichsbahnverwaltung zugekommen war, jedoch ohne die bisherigen parlamentarischen Bindungen. Die Hauptverwaltung der Reichsbahn war nun vom RVM losgelöst, das nur noch für die Rechts- und Tarifaufsicht und für die Überwachung der Betriebssicherheit zuständig blieb.

Der Verwaltungsrat konstituierte sich am 27. September 1924. Seine Mitglieder wählten ihren Präsidenten [26] und den Generaldirektor [27], die ausländischen Verwaltungsratsmitglieder zudem den Eisenbahnkommissar. Die DRG-Hauptverwaltung übernahm am 11. Oktober 1924 den Betrieb der Reichsbahn im unbesetzten Gebiet und nachdem einen Monat später auch die von der französisch-belgischen Regiebahn betriebenen Strecken im besetzten Gebiet der neuen Gesellschaft übergeben worden waren, begann ihre Tätigkeit.

Im Jahre 1930 hob der Young-Plan schließlich alle internationalen Bindungen einschließlich der Mandate des Treuhänders, des Kontrollkommissars und der ausländischen Verwaltungsratsmitglieder auf. Die bisherigen Reparations-Schuldverschreibungen wurden in eine jährliche Reparationsabgabe umgewandelt. Insofern wurde das Reichsbahngesetz von 1924 revidiert [28], ebenso durch das Zugeständnis, dass der RVM nun einen Vertreter ohne Stimmrecht in den Verwaltungsrat entsenden konnte. Im Falle von Unstimmigkeiten zwischen der Reichsregierung und dem Verwaltungsrat fällte das sog. Reichsbahngericht - ein beim Reichsgericht angesiedeltes Schiedsgericht - die Entscheidung. [29] Das Lausanner Abkommen von 1932 brachte schließlich das Ende der Reparationszahlungen auch für die DRG.

Mit den Schlagworten Personalabbau, kaufmännische Buchführung [30], Modernisierung [31] und Motorisierung kann man die wichtigsten Vorgänge in der Betriebsführung der DRG in dieser Periode kennzeichnen. Das Bahnstreckennetz erfuhr zwar keine nennenswerte Bereicherung [32], jedoch schritt die bereits vor dem Ersten Weltkrieg begonnene Elektrifizierung des Streckennetzes zügig voran, vor allem in Berlin [33] und Hamburg, sowie in Bayern, Schlesien und Mitteldeutschland. Die Erneuerung des Oberbaus (Schienen, Weichen, Kreuzungen) bildete eine bedeutsame Grundlage für höhere Geschwindigkeiten der Züge und für grössere Zuglasten. An die Stelle der aus Länderbahnzeiten übernommenen Vielfalt an Lokomotivtypen traten neue standardisierte Baureihen. Durch die Einführung von Großgüterwagen und Spezialfahrzeugen wie Kühlwagen oder die bereits Ende der 1920-er Jahre zu verzeichnenden Anfänge des Behälterverkehrs (Containerverkehrs) wurde das Transportangebot wesentlich erweitert. Ende der 1920-er Jahre hatte das RVM mit 58 "Bauanstalten" für Personen-, Gepäck- und Güterwagen Geschäftsverbindungen. [34]

Trotzdem verlor die Eisenbahn in den 1920-er Jahren ihr faktisches Monopol im Land-Transportwesen, denn mit der Entwicklung des Kraftfahrzeugs entstand für die Bahn ein gefährlicher Konkurrent. Das galt für den Personenverkehr und erst recht für den Güterverkehr, der für die Reichsbahn von existentieller Bedeutung war. Lastkraftwagen- und Omnibusunternehmen begannen sich immer stärker zu entwickeln. [35] Dem versuchte die DRG entgegenzuwirken, indem sie nicht nur einen eigenen Kraftverkehr aufbaute, sondern sie betrieb zusammen mit der Deutschen Reichspost unter der Bezeichnung "Kraftpost" gemeinsame Linien. Um das Eindringen des LKW in den angestammten Verkehrsmarkt der Bahn zu stoppen, verbilligte die DRG seit 1927 ihre Transporttarife (sog. K-Tarife) und führte eine Fülle von speziellen Ausnahmetarifen für einzelne Güterarten ein. Des weiteren übernahm sie im Februar 1931 heimlich die Spedition Schenker & Co., eines der größten europäischen Fuhrunternehmen. Das Konkurrenzverhältnis Schiene - Straße konnte jedoch nicht dauerhaft gelöst werden. Die DRG verlor während der Weltwirtschaftskrise, die u.a. durch einen Rückgang der Transporte auf allen Gebieten gekennzeichnet war, zwischen 1930 und 1932 ca. 39 % ihrer Güterverkehrseinnahmen und 36 % ihrer Personenverkehrseinnahmen [36], so dass sie am Ende der Weltwirtschaftskrise in eine kritische wirtschaftliche Lage geriet. Da die Bahn aber trotz der Reparationszahlungen zwischen 1925 und 1929 erhebliche Überschüsse erzielt und daraus Rücklagen gebildet hatte, überstand sie die Krise besser als andere Wirtschaftszweige.

Schon in der Weimarer Republik trug die Bahn wesentlich dazu bei, dass sich der Fremdenverkehr zu einem wesentlichen Faktor der Volkswirtschaft entwickelte. Geringere Arbeitszeiten sowie bezahlter Urlaub waren Voraussetzungen für das neue Freizeitverhalten der Bevölkerung. Die Reichsbahn war größter Anteilseigner des Mitteleuropäischen Reisebüros und erwarb 1925 die Aktienmehrheit der "Mitteleuropäischen Schlafwagen- und Speisewagen AG" (Mitropa, vgl. Bestand R 8132). Sie setzte seit 1925 verstärkt Werbung ein und schuf sich 1928 in Gestalt der Reichsbahnzentrale für den deutschen Reiseverkehr (vgl. Bestand R 4323) eine eigene Tochtergesellschaft, die Plakate, Werbeschriften und Filme herausgab.

Erhebliche Mittel wandte die DRG für soziale Belange und für das Wohlfahrtswesen auf. Sie leistete Zuschüsse zu Versicherungen (vgl. Bestand R 4309) und förderte zahlreiche Selbsthilfeeinrichtungen des Personals wie Sterbekassen, Waisenhorte (vgl. Bestand R 4308), Erholungsheime, Spar- und Darlehensvereine sowie Turn- und Sportvereine. Besondere Bedeutung kam dem Wohnungsbau zu. [37]

Mit der "Machtergreifung" der Nationalsozialisten 1933 war keine nominelle Reorganisation der Reichsbahn verbunden, aber ihr Status aus dem Jahre 1924 wurde bald durch eine Reihe von Maßnahmen außer Kraft gesetzt. [38] Die weitgehend autonome Verwaltung durch die DRG war mit dem Leitbild vom zentralen Führerstaat inkompatibel. So beseitigten das Gesetz über den Neuaufbau des Reiches vom 30. Januar 1934 [39] und das Gesetz zur Vereinfachung und Verbilligung der Verwaltung vom 27. Februar 1934 [40] die Mitbestimmungsrechte der Länder (s.o.), so dass die staatlichen Hoheitsrechte nun für alle Bahnen auf das Reich übergingen. Die wenigen Eisenbahnen des allgemeinen Verkehrs, die nicht vom Reich, sondern von Gesellschaften, Kreisen, Kommunalverbänden u.a. verwaltet wurden, unterstanden bereits seit 1920 der Aufsicht des Reiches. Vorstand und Verwaltungsrat der DRG existierten zwar weiter, gaben aber einen Teil ihrer Befugnisse zugunsten der Reichsregierung auf. [41] Zu einschneidenden personellen Veränderungen an der Spitze der Reichsbahn kam es jedoch zunächst kaum.

Infolge des Gesetzes über die Errichtung eines Unternehmens "Reichsautobahnen" vom 27. Juni 1933 [42] erhielt die DRG den Auftrag, ein "Zweigunternehmen" zu gründen "zum Bau und Betrieb eines leistungsfähigen Netzes von Kraftfahrbahnen". Die DRG stellte 100 % des Grundkapitals von 50 Millionen Reichsmark und Generaldirektor Dorpmüller übernahm den Vorsitz des Verwaltungsrats, doch die Reichsbahn blieb auf die Rolle des Kapitalgebers beschränkt. Der Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen (vgl. Bestand R 4601) Fritz Todt führte die "Gesellschaft Reichsautobahn" (vgl. Bestand R 4602) faktisch autonom, wenn auch an der Spitze der verschiedenen Bauleitungen der Autobahn hohe Bahnbeamte standen.

Autonom war seit 1935 auch die Luftfahrt [43], so dass das RVM auf den Status eines Ministeriums für Eisenbahn, Schiffahrt und den gewerblichen Güterverkehr reduziert blieb. Das RVM konnte zunächst weiterhin nicht direkt in die Geschäftspolitik der Reichsbahn eingreifen. Dies änderte sich grundlegend nach der Rede Hitlers im Reichstag am 30. Januar 1937, worin er durch eine öffentliche Erklärung über den Bruch der "Fesseln von Versailles" die Autonomie der Reichsbahn aufhob, ohne dass vorher die gesetzgeberischen Voraussetzungen für eine Reform des Reichsbahngesetzes geschaffen worden waren.

4. Die Deutsche Reichsbahn 1937 - 1945

Das folgende "Gesetz zur Neuregelung der Verhältnisse der Reichsbank und der Reichsbahn" vom 10. Februar 1937 [44] bewirkte schließlich die vierte und letzte grundlegende Änderung der Eisenbahnverfassung Deutschlands bis 1945: Die DRG verlor den Status eines selbständigen Unternehmens, wurde in "Deutsche Reichsbahn" umbenannt und in die Reichsverwaltung eingegliedert. Damit war die 1924 gespaltene Spitze der Reichsbahnverwaltung wieder vereinigt und sämtliche Dienststellen waren von nun an wieder Reichsbehörden. Julius Dorpmüller hatte seitdem in Personalunion die Funktionen des Reichsverkehrsministers und Generaldirektors der Reichsbahn inne. Demzufolge ging auch die Hauptverwaltung vollständig im RVM auf, ihre Abteilungen wurden in Ministerialabteilungen umgewandelt und ihr stellvertretender Generaldirektor avancierte zum Staatssekretär der Eisenbahnabteilungen. Die Vorstandsmitglieder der DRG fungierten jetzt als Abteilungsleiter im Range von Ministerialdirektoren. Der bereits mehrfach umgestaltete Verwaltungsrat amtierte weiter nur noch als Beirat unter Vorsitz des RVM mit beratenden Aufgaben. Leitungsbefugnisse standen ihm zwar nicht mehr zu, doch spielte der Beirat aufgrund des großen Sachverstandes und der langjährigen Berufserfahrung seiner Mitglieder keine unwichtige Rolle, zumal an seinen Sitzungen ständig der Reichsminister der Finanzen und während des Krieges häufig auch Vertreter des Oberkommandos der Wehrmacht teilnahmen.

Ganz anders als die DRG war die Reichsbahn von 1937 ein Staatsbetrieb. [45] Sie behielt aber im Gegensatz zu den Jahren 1920 bis 1924 den Status eines nichtrechtsfähigen Sondervermögens (Reichseisenbahnvermögen) mit eigener Wirtschafts- und Rechnungsführung. An die Reichskasse hatte die Reichsbahn nur eine Abgabe abzuliefern, die sich nach der Höhe der Bahneinnahmen richtete. [46] Ähnlich wie bei einer juristischen Person mit eigener Rechtspersönlichkeit haftete das Reichseisenbahnvermögen nicht für die Verbindlichkeiten des Reiches und dieses nicht für diejenigen der Reichsbahn. Die Reichsbahn konnte unter ihrem Namen Verträge schließen, klagen und verklagt werden.

Ein neues Reichsbahngesetz vom 4. Juli 1939 [47] brachte keine Änderung des bisherigen Status, sondern bestätigte diesen nur und bezog vor allem die österreichischen, sudetendeutschen und memelländischen Bahnen ausdrücklich ein. Das Gesetz hielt den gemeinwirtschaftlichen Zweck der Reichsbahn ausdrücklich fest: Sie war kein Gewerbebetrieb und ihre Betriebsführung musste nicht um jeden Preis Gewinne erzielen wie die Privatwirtschaft, sondern "... die Erfüllung der Aufgaben der Deutschen Reichsbahn ist öffentlicher Dienst" [48] Mit dieser spezifischen Unternehmungsform nahm die Reichsbahn eine ganz besondere Position ein, denn als nach wie vor größter Arbeitgeber in Deutschland und durch die Höhe ihres Betriebsvermögens ließ sie sich mit keiner anderen Firma oder Gesellschaft vergleichen. [49]

Zwischen 1933 und 1938 erhöhte sich die Zahl der von der Reichsbahn gefahrenen Personenkilometer um 95,7 %. [50] Die weitaus beste Einnahmequelle des Personenverkehrs bildete die 3. Klasse der Reichsbahn.[51] Später gab es immer mehr Fahrpreisermäßigungen. Besonders billig waren Urlaubsfahrten mit der "Kraft durch Freude" - Organisation hauptsächlich per Bahn. Auf diese Weise reisten z.B. 1937 über 70 % aller Fahrgäste zu reduzierten Preisen. [52] So nimmt es nicht wunder, dass der Güterverkehr, der trotz weiterhin gewährter verbilligter Transporttarife hohe Erträge brachte, die zunehmenden Defizite im Personenverkehr auszugleichen hatte: Etwa zwei Drittel aller Einnahmen brachten in dieser Zeit die Güterzüge. <Kontinuität und Wandel, stetige Entwicklung und spektakulärer Fortschritt kennzeichneten das Verhältnis der Reichsbahn zur Technik in diesem Zeitraum. [53] Generell kann eingeschätzt werden, dass ihr gesamtes System an Geschwindigkeit und Sicherheit gewann. In diesen Zusammenhang gehört Hitlers utopischer Plan, quer durch Europa eine "transkontinentale Breitspurbahn" zu bauen.[54] Im Wettbewerb mit den anderen Verkehrsträgern suchte die Reichsbahn ihre Marktchance im stetigen Ausbau des Containerverkehrs (Behälterverkehrs) und sie betrieb nicht nur eigene Omnibusse, sondern sogar eigene Schiffe, beispielsweise auf dem Bodensee oder im Fährbetrieb auf See. Bereits 1934 hatte die Reichsbahn Anteile an der Deutschen Lufthansa erworben, die es nicht zuletzt ermöglichten, dass zwei "Reichsbahn-Flugstrecken" von Berlin nach Königsberg und nach Breslau besonders für Expressgut eingerichtet werden konnten. [55] Bleibende Leistungen sind im Ausbau der S-Bahnen, vor allem der Berliner, zu verzeichnen. Damals war Berlin der wichtigste Eisenbahnknotenpunkt Europas. Ein enormes Wachstum war auch bei den von der Reichsbahn geförderten Wohlfahrts- und Selbsthilfeeinrichtungen zu verzeichnen. [56] <Für die am 21. August 1939 beginnende Mobilmachung, die das Heer um drei Millionen Soldaten sowie einige Hunderttausend Pferde und Fahrzeuge ergänzte, hatte die Reichsbahn außerordentliche logistische Leistungen zu erbringen. Schon bald nach Beginn des zweiten Weltkrieges wurde das polnische Eisenbahnwesen im Generalgouvernement mit der Gründung der sog. "Generaldirektion der Ostbahn" (GEDOB) in Krakau den Bedürfnissen des Reiches untergeordnet. Deren rechtliche Stellung blieb jedoch trotz einer "Verordnung über die Verwaltung des Eisenbahnwesens im Generalgouvernement" vom 9. November 1939 umstritten. Für die anderen im Verlauf des zweiten Weltkrieges besetzten Nachbarländer Deutschlands galten andere Regelungen: Das französische, belgische, niederländische und dänische Eisenbahnwesen wurde nach anfänglicher Verwaltung durch die Wehrmacht der Aufsicht des RVM unterstellt und durch die Hauptverkehrsdirektionen in Paris und Brüssel (vgl. Bestand R 4306) bzw. durch Bahnbevollmächtigte in Utrecht und Aarhus geleitet. Dagegen wurden nach dem Überfall auf die UdSSR deren Eisenbahnen zunächst ab Januar 1942 einer "Zweigstelle Ost(en)" des RVM und ab Dezember 1942 der daraus hervorgegangenen "Generalverkehrsdirektion Osten" in Warschau (vgl. Bestand R 4317) unmittelbar unterstellt. Auf dem Höhepunkt der Ausdehnung des deutschen Machtbereichs betrieb oder beaufsichtigte die Reichsbahn 1942 ein Streckennetz von 152.000 km, das bedeutete fast das Dreifache des deutschen Vorkriegsnetzes.

Zu den vielfältigen Transportaufgaben der Reichsbahn im zweiten Weltkrieg zählten die Sicherung des Nachschubs an Waffen und Soldaten sowie die Regelung des Fronturlauber- und Verwundetenverkehrs. Um alle Maßnahmen auf dem Gebiet der Lenkung des gesamten Verkehrs zusammenzufassen zwecks engster Zusammenarbeit von Eisenbahn, Schiffahrt und Kraftverkehr, wurden im September 1940 sog. Verkehrsleitungen eingerichtet: Die Hauptverkehrsleitung (HVL) im RVM, Gebietsverkehrsleitungen (GVL) in den Bezirken der GBL (s.u. 5.1.) und Bezirksverkehrsleitungen (BVL) in den RBD-Bezirken.

Im Zusammenhang mit einer schweren Transportkrise Anfang 1942 kam es auf dem maßgeblichen Gebiet des Lokomotiv- und Waggonbaus regelrecht zur Entmachtung der Reichsbahn durch die Gründung des "Hauptausschusses Schienenfahrzeuge" [57] am 7. März 1942. Dieser steuerte künftig die Produktion im Rahmen der Fertigungsprogramme der Wehrmacht vom Reichsministerium für Bewaffnung und Munition aus. Es wurde die vereinfachte Kriegslokomotive der Baureihe 52 entwickelt, von der ab Mitte 1943 monatlich 500 Stück produziert werden konnten. [58] Durch die starke Beanspruchung der Eisenbahn traten zudem in zunehmendem Maße Engpässe bei der Bereitstellung der Wagen auf und die Zahl der Reisezüge wurde immer mehr eingeschränkt, weil Kriegsgütertransporte und Fronturlauberzüge Vorrang hatten. Ebenso waren beim Personalbestand große Lücken zu schließen, da viele Eisenbahner in die besetzten Gebiete beordert oder zur Wehrmacht eingezogen wurden. Die verstärkte Anwerbung von Frauen [59] reichte bei weitem nicht aus, um diesen Mangel zu beheben. Deshalb wurden in wachsendem Maße ausländische Arbeitskräfte ins Land geholt, die anfangs noch auf freiwilliger Basis angeworben, später aber zu Hunderttausenden unter Zwang ins Deutsche Reich transportiert wurden. Als Transporteur von Arbeitskräften spielte die Reichsbahn sogar eine entscheidende Rolle: Die rund 7,6 Millionen Ausländer, die 1944 in Deutschland arbeiteten kamen überwiegend mit der Eisenbahn. [60] Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge arbeiteten auch für die Reichsbahn, und zwar in allen RBD-en. Im Reichsgebiet betrug ihre Zahl 1943 rund 200.000 bei einer Gesamtbelegschaft von knapp 1.297.000 Beschäftigten; hinzu kamen etwa 1.300 Häftlinge aus Konzentrations- und Arbeiterziehungslagern. [61] Für das Jahr 1944 und das Frühjahr 1945 existieren keine genauen Angaben. Vermutlich stieg die Zahl der Ausländer bei der Reichsbahn aber weiter an, weil die Gesamtbelegschaft bis Herbst 1944 auf 1.366.000 Mitarbeiter anwuchs. [62]

Durch die Deportation jüdischer Bürger in die Ghettos und in die Konzentrations- und Vernichtungslager war die Reichsbahn unmittelbar am Holocaust beteiligt, wobei sie die Transportkosten den Auftraggebern - SS und Reichssicherheitshauptamt - in Rechnung stellte. [63] Nach dem bisherigen Stand der Forschung zu Transportkapazitäten der Judendeportationen wurden insgesamt mehr als die Hälfte aller ermordeten Juden, ca. 3 Millionen Menschen, mit der Eisenbahn in die Todeslager im Osten transportiert. [64]

Die letzte große Aufgabe stellte sich der Reichsbahn und ihrem Personal mit dem Transport der großen Flüchtlingsströme aus den Ostgebieten in das Altreichsgebiet. Allein aus dem Danziger Raum benutzten innerhalb weniger Wochen mehr als 500.000 Menschen die Eisenbahn zur Flucht in den Westen. [65] Hinzu kam, dass die Bahn ab Frühjahr 1943 mit zunehmenden Schwierigkeiten infolge der englischen und amerikanischen Bombenangriffe zu kämpfen hatte. Bis Anfang 1945 konnten beschädigte Strecken zwar meist noch repariert werden, aber gezielte Bombenangriffe auf die großen Rangier- und Verschiebebahnhöfe machten es der Reichsbahn seitdem unmöglich, die Leistungsfähigkeit des Eisenbahnnetzes durch Notreparaturen wiederherzustellen. Mehr und mehr kam der gesamte Zugverkehr zum Erliegen, Verbindungen bestanden schließlich nur noch streckenweise, von Bahnhof zu Bahnhof.

In den letzten Kriegswochen, im März 1945, setzte der Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion, Albert Speer, den Leiter einer Einsatzgruppe der Organisation Todt als Generalkommissar für die Wiederherstellung der Reichsbahnanlagen ein, jedoch waren Schienen, Brücken, Signalanlagen und Fernmeldekabel bereits so zerstört, dass dieser kaum noch wirksam werden konnte.

Die Geschichte der Reichsbahn ist mit der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands am 8. Mai 1945 nicht zu Ende. Die Deutsche Reichsbahn bestand nach 1945 auf dem Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone und späteren Deutschen Demokratischen Republik weiter und fand ihr Ende erst nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten, als die Deutsche Reichsbahn und die Deutsche Bundesbahn mit dem Jahresende 1993 zur Deutschen Bahn AG verschmolzen (vgl. Bestände DM 1 und DM 100 bzw. B 108, B 121 und B 235).

5. Struktur und wichtigste Dienststellen der Deutschen Reichsbahn [66]

5.1. Oberbetriebsleitungen (OBL, später = GBL)

Zur Kontrolle und Beaufsichtigung der großen Verkehrsachsen bestanden seit 1920 drei OBL als Organe des RVM: Die OBL West in Essen, die OBL Süd in München und die OBL Ost in Berlin. Letzterer war das Hauptwagenamt [67] angegliedert, das die tägliche Verteilung der leeren Güterwagen auf die RBD-en für das gesamte Reichsgebiet zu regeln hatte. Jede OBL wurde von einem Präsidenten geleitet und bestand aus zwei Abteilungen, deren Leiter die Bezeichnung Oberbetriebsleiter bzw. Oberverkehrsleiter trugen. Die OBL unterstanden direkt dem RVM und hatten Weisungsbefugnis für Maßnahmen, die über den Bezirk einer einzelnen RBD hinausgingen, beispielsweise die Zusammenstellung und den Einsatz der verschiedenartigsten Sonderzüge. Insofern standen die OBL über den RBD-en. Im März 1940 wurden die OBL ohne Aufgabenveränderungen in Generalbetriebsleitungen (GBL) umbenannt (vgl. den Splitterbestand R 4316 GBL Ost). Bei der GBL Ost bestand ein besonderes Dezernat für den Personenwagendienst, dem die Zugbildung sowie die Verteilung und der Ausgleich der Reisezugwagen oblag. Die Elektrische OBL wird unten unter 5 6. behandelt.

5.2. Reichsbahndirektionen (RBD-en)

Räumlich war das Reichsgebiet in die Bezirke von anfangs 24 und schließlich 31 Direktionen aufgeteilt, [68] die als Mittelbehörden in der Reichsbahnstruktur fungierten und die sich in der Regel auf die Eisenbahndirektionen der Ländereisenbahnen vor 1920 zurückführen lassen. Der Präsident einer RBD fasste die gesamten Reichsbahngeschäfte in seinem Bezirk zusammen und leitete sie voll verantwortlich; das waren vor allem die Betriebs- und Verkehrsabwicklung und alle fachlichen Aufgaben, die nicht dem Ministerium, einer OBL (s.o. 5.1), einem Zentralamt (s.u. 5.3) oder besonderen "Geschäftsführenden Direktionen" vorbehalten waren. Bei letzteren wurden bestimmte Geschäfte mehrerer RBD-en nur von einer geführt. Das traf z.B. auf das Werkstättenwesen zu, d.h. diese geschäftsführenden Direktionen [69] leiteten und überwachten die Tätigkeit aller Werkstätten bei den Ausbesserungswerken ihres Gruppenbezirks, während die übrigen örtlichen RBD-en mit der Verwaltung der Werkstätten nichts zu tun hatten. Jede RBD war in der Regel in fünf Fachabteilungen aufgegliedert, die den Eisenbahnabteilungen des RVM bzw. der DRG entsprachen.

Der Präsident der RBD führte außerdem unter der Bezeichnung "Der Reichsbevollmächtigte für Bahnaufsicht" die Aufsicht über die Privatbahnen, Kleinbahnen und Straßenbahnen des allgemeinen Verkehrs in seinem Bezirk. Nach einer "Übersicht über die RBD-en am Ende des Geschäftsjahres 1943 auf Grund ihres Anteils an der Betriebslänge, dem Personalbestand, den Betriebs- und Verkehrsleistungen der Reichsbahn" vom Juni 1944 bzw. November 1943 war die RBD Dresden nach der Betriebslänge, dem Personalbestand und im Güterverkehr (Frachtbriefe) die größte RBD. [70] Die in der "Gruppenverwaltung Bayern" zusammengefassten RBD-en Augsburg, Ludwigshafen, München, Nürnberg, Regensburg und Würzburg unterstanden bis Ende 1933 der Hauptverwaltung der DRG nur mittelbar und wurden erst nach der Auflösung der Gruppenverwaltung Bayern ab Anfang 1934 in der Reihe der anderen RBD-en geführt.

Es soll an dieser Stelle betont werden, dass die RBD-en regionale Organe waren und dass deshalb Akten, die in RBD-en entstanden sind und geführt wurden, zuständigkeitshalber nicht im Bundesarchiv - das nur für die zentrale Verwaltungsebene zuständig ist - , sondern in Staatsarchiven aufbewahrt werden.

5.3. Reichsbahn-Zentralämter

Die Zentralämter waren als Behörden den RBD-en gleichgeordnet und ähnlich wie diese organisiert. Zu ihren Hauptarbeitsgebieten gehörten die großen Aufgaben der Konstruktion von Fahrzeugen aller Art sowie von Maschinen, Anlagen und Geräten und deren Einkauf. Es gab 3 Zentralämter: Je eines in Berlin (s. Bestand R 4304) und München (gebildet nach der Auflösung der Gruppenverwaltung Bayern Ende 1933) und seit Juli 1942 das Zentralamt für Sozial- und Personalwesen in Berlin (s. Bestand R 4314). Das Zentralamt in Berlin wurde 1932 aufgeteilt in vier einzelne Zentralämter für Bau- und Betriebstechnik, Maschinenbau, Einkauf und Rechnungswesen, die 1936 wieder zusammengelegt wurden.

5.4. Ämter der Reichsbahn

Zwischen den RBD-en und den Dienststellen des Außendienstes standen die Ämter, d.h. sie unterstanden in der Regel den RBD-en und hatten den örtlichen Dienst zu überwachen. Es gab in jeder RBD - abhängig von der Größe der Bezirke und vom Umfang der Geschäfte – 10 bis 20 Betriebsämter, und jeweils etwa 4 bis 8 Verkehrsämter und Maschinenämter. Nach Bedarf, von Fall zu Fall, richtete man für große Bauten Neubauämter ein. Außerdem gab es Vermessungsämter, Abnahmeämter und Versuchsämter (siehe Bestand R 4313), die z.T. jedoch den Zentralämtern unterstanden. Auf der Stufe der Ämter standen ebenfalls die für die Erhaltung der Fahrzeuge zuständigen RAW'e, die anfangs noch als Werkstättenämter fungierten Die Geschäfte jedes Amts führte ein Amtsvorstand, der meist die Qualifikation eines Betriebsingenieurs hatte.

5.5. Dienststellen des Außendienstes

Hierbei handelt es sich um die Masse der eigentlichen Betriebs- und Verkehrsstellen, die den praktischen Dienst der Eisenbahn als Verkehrsanstalt an der Basis abzuwickeln hatten und von denen es zu keinem Zeitpunkt weniger als 15.000 gab. Dazu gehörten Bahnhöfe und Haltepunkte, Güterabfertigungen, Bahnmeistereien, Fahrleitungsmeistereien (für elektrisch betriebene Strecken), Betriebswerke und Betriebswagenwerke [71], Kraftwagenbetriebswerke, Wasserwerke, Elektrizitätswerke, Gasanstalten und Holztränkanstalten. An der Spitze jeder Dienststelle stand der Vorsteher.

5.6. Sonstige Behörden mit bestimmten Aufgaben, z.T. für die gesamte Reichsbahn

Auf dem Bausektor existierten zeitweise die folgenden Stellen:

* Je eine Reichsbahnbaudirektion in Berlin und München für die Umgestaltung der Bahnanlagen, die im Zusammenhang mit dem gigantischen Plänen zum Aus- und Umbau dieser Städte standen.

* Je eine Oberste Bauleitung für "Elektrisierung" [72] in Leipzig und Salzburg für die Elektrifizierung größerer Strecken über mehrere RBD-en hinweg und für den Bau der notwendigen Stromversorgungsanlagen.

* Zur Stromversorgung aller elektrisch betriebenen Strecken wurde 1939 eine besondere Elektrische Oberbetriebsleitung in Innsbruck eingerichtet, die die Lastverteilung zwischen den verschiedenen Stromquellen (bahneigenen, städtischen und privaten Kraftwerken) zu regeln und zu überwachen hatte. Ihr unterstanden vier Elektrische Betriebsleitungen in Innsbruck, Pasing, Muldenstein und Mittelsteine.

Während die Wirtschafts- und Rechnungsführung der übrigen Abteilungen des RVM vom Rechnungshof des Deutschen Reichs (s. Bestand R 2301) geprüft wurde, war dieser für die Reichsbahn als ein selbständig wirtschaftendes Sondervermögen des Reichs nicht zuständig, sondern es bestand hier eine eigene Organisation der Rechnungsprüfung in Form des Hauptprüfungsamts und der Prüfungsämter bei den RBD-en und den Zentralämtern.

Für zentrale Aufgaben der Verkehrswerbung bestand das Reichsbahn-Werbeamt für den Personen- und Güterverkehr in Berlin.

Schließlich soll die Filmstelle erwähnt werden, die bereits 1925 als Reichsbahn-Filmstelle gegründet, ab 1937 nach der Umbildung des RVM zunehmend auch vom Gesamtbereich des Ministeriums für die Herstellung und Verwaltung von Werbe- und Ausbildungsfilmen genutzt und 1941 in Filmstelle des RVM umbenannt wurde.

6. Eisenbahnabteilungen des RVM bzw. der Reichsbahn-Gesellschaft

Mit Wirkung vom 6. Oktober 1919 wurden das bisherige Reichsamt für die Verwaltung der Reichseisenbahnen (s. Bestand R 4201) und das Reichseisenbahnamt (s. Bestand R 4101) im RVM vereinigt, das selbst erst als Zentralbehörde für die neuen Reichseisenbahnen in der Entstehung begriffen war. Neben den im RVM bereits in Bildung befindlichen Abteilungen für Wasserstraßen (vgl. Findbuch R 5, Bd. 1) sowie für Luft- und Kraftfahrwesen (vgl. Findbuch R 5, Bd. 2) kam es bis Ende 1919 zur Einrichtung von folgenden drei Eisenbahnabteilungen:

* E I : Eisenbahnverwaltungsabteilung mit der Aufgabe, die Übernahme der Staatseisenbahnen auf das Reich vorzubereiten und die Reichseisenbahnen in Elsaß-Lothringen zu liquidieren

* E A: Eisenbahnaufsichtsabteilung für die bisher vom Reichseisenbahnamt wahrgenommenen Geschäfte

* E III: Verkehrsabteilung für das Zusammenwirken der verschiedenen Verkehrszweige und die Ausnutzung des Transportraums

einschließlich Beförderungs- und Abfertigungsdienst

Nur die Eisenbahnverwaltungs- und Aufsichtsabteilung - letztere zuweilen auch als Eisenbahntechnische Abteilung bezeichnet - verblieben entsprechend der veränderten Aufgabenstellung beim RVM, nachdem 1924 die DRG gegründet worden war. [73] Alle anderen später zu beschreibenden Eisenbahnabteilungen gab es dann bis 1937 ausschließlich in der DRG und erst danach wieder im RVM.

Voll funktionstüchtig konnte das RVM erst nach dem Staatsvertrag vom 1. April 1920 sein (s.o. 1.1.). Zu den ersten Amtshandlungen des neuen RVM gehörte der Erlass der "Vorläufigen Verwaltungsordnung der Reichseisenbahnen" vom 26. April 1920. [74] Darin ist festgehalten, dass der RVM seine Befugnisse mit Hilfe eines oder mehrerer Stellvertreter (Staatssekretäre) durch die Eisenbahnabteilungen und durch die Zweigstellen des RVM (2.) ausübt. Es gab anfangs drei Staatssekretäre: Einen "nichttechnischen" (Stieler), einen technischen (Kumbier) und der dritte (Bodenstein) leitete die Geschäfte der größten Zweigstelle Preußen-Hessen.

Eine Anlage zur Vorläufigen Verwaltungsordnung [75] zählt die Zuständigkeiten des RVM für Eisenbahnen im einzelnen auf, von denen die meisten aus der Bezeichnung der nachfolgend zu nennenden Abteilungen ohne weiteres deutlich werden. Deshalb sollen daraus nur solche Aufgabengebiete angeführt werden, die sich nicht in den Abteilungsbezeichnungen widerspiegeln: Vergabe von Arbeiten und Lieferungen, An- und Verkauf von Grundstücken sowie deren Vermietung und Verpachtung, Haushalts-, Kassen-, Rechnungs- und Materialwesen sowie Niederschlagung fiskalischer Forderungen.

Zusätzlich zu den o.g. drei Abteilungen kam es bis Januar 1921 zur Einrichtung folgender anderer Abteilungen des RVM:

* E II : Personalabt.

* E IV : Betriebsabt.

* E V : Tarifabt.

* E VI : Finanzabt.

* E VII : Abt. für Maschinentechnik

* E VIIa : Abt. für elektrischer Zugbetrieb und Brennstoffwirtschaft

* E VIII : Bauabt.

Unmittelbar unter den drei Staatssekretären wurden folgende Angelegenheiten bearbeitet: Personal, Presse, Zwischenstaatliches, Friedensstelle, Statistik und Organisation.

Die Gruppenverwaltung Bayern hatte nach wie vor ihre eigenen Dienststellen (Ämter und RBD-en), die nach Auflösung der bayerischen Sonderverwaltung ab Anfang 1934 fortgeführt wurden als Reichsbahn-Zentralamt in München bzw. als RBD-en.

Die wichtigsten Änderungen in dieser Abteilungsstruktur bis 1924 waren folgende:

* E VIIa wurde bereits 1921 wieder aufgelöst

* E III und E IV wurden kurzzeitig zu E IV Verkehr und Betrieb zusammengefasst

* E VII wurde im November 1921 aufgeteilt in eine Werkstättenabt. E VII und eine Betriebsmaschinenabt.

* E III, die es aber 1922-1923 nicht mehr gab; dafür taucht E III 1924 als Bauabt. auf

* Im Oktober 1922 firmierte E IV wieder als Betriebsabt. und E V als Verkehrsabt., die alte Tarifabt. E V scheint

vorübergehend aufgelöst worden zu sein

* Als E I hat es 1924 kurzzeitig eine Abt. Recht gegeben Wesentlich konstanter blieb die Struktur der DRG 1924-1937:

* E I Verkehrs- und Tarifabt.: Wagen-, Beförderungs- und Abfertigungsdienst; Güter-, Tier- und Personentarife

* E II Betriebs- und Bauabt.: Fahrpläne und Zugbildung; Lokomotiv- und Wagendienst Unterabt. E IIa: Bauabt.: Sicherungs- und

Vermessungswesen, Bau und Unterhaltung der Bahnanlagen

* E III Maschinentechnische Abt.: Lokomotiv- und technischer Wagendienst; Bau von Fahrzeugen und Fahrzeugteilen, Maschinen

und Geräten; s.u. E VII Unterabt. E IIIa: zeitweise für Werkstätten

* E IV Finanz- und Rechtsabt.: Geld- und Kreditfragen, Betriebs- und Vermögensfragen , Unterabt. E IVa Rechtsabt.

* E V Personalabt.: Personalhaushalt; Beamten- und Arbeitsrecht; Laufbahn- und Ausbildungswesen; Wohnungs- und

Wohlfahrtswesen

* E VI Verwaltungsabt.: Organisations- und Hausangelegenheiten, Beziehungen zur Reichsregierung, internationale Angelegenheiten, Verwaltungsrat, Freifahrtwesen, Statistik, Geschäftsberichte, Pressedienst, Propaganda, Auskünfte an Ausländer Unterabt. VIa Personalien der oberen Beamten

* E VII neu gebildet 1924 als Einkaufsabt.: Beschaffung von Oberbau-, Werk- und Betriebsstoffen, Lokomotiven, Wagen, Maschinen und Geräten; im Februar 1936 zusammengelegt mit der Maschinentechnischen Abt. zur neuen Maschinentechnischen und Einkaufsabt. E III

Außerdem gab es an der Spitze der DRG zwei "Gruppen", die dem Generaldirektor bzw. seinem Stellvertreter direkt unterstanden:

* Gruppe A Allgemeine Gruppe: Entsprach der Allgemeinen Verwaltung. In ihr ist anscheinend die Abt. E VI aufgegangen.

* Gruppe L. (L = Landesverteidigung) 1935 für Eisenbahnmilitärische Angelegenheiten gebildet: Zusammenarbeit mit der Wehrmacht vor allem in Transport-, Material-, Organisations-, Bau- und Bahnschutzangelegenheiten. Wie bereits im Abschnitt 1.4. ausgeführt, war die Auflösung der DRG und die Überführung ihrer Abteilungen in das RVM 1937 mit keinen nennenswerten Änderungen der Geschäftsverteilung und des Personals verbunden, d.h. die Struktur der Eisen-bahnabteilungen des RVM ab 1937 blieb zunächst die gleiche wie die der Hauptverwaltung der DRG. Es konnten nur die folgenden 4 wesentlichen Veränderungen in der Zeit des Zweiten Weltkrieges nachgewiesen werden:

* Von Jan. 1941 bis Juli 1942 hat es offensichtlich als E VI und E VII zwei Bauabteilungen gegeben und E II hieß nur noch Betriebsabt.

* In E IV kam es im Jan. 1941 außer der weiter bestehenden Unterabt. IVa (Rechtsabt.) zur Einrichtung einer weiteren Unterabt. IVb für Privat- und Kleinbahnaufsicht

* Ab 1. August 1942 wurde im RVM als E VII eine spezielle Planungsabteilung aufgebaut, die den Ausbau des europäischen Verkehrs nach dem Krieg planen sollte. Sie muss aber bald wieder aufgelöst worden sein, denn im letzten überlieferten Geschäftsverteilungsplan vom Oktober/November 1944 erscheint sie nicht mehr.

* Im diesem letzten Geschäftsverteilungsplan wird noch eine Unterabt. IIIa für die Werkstätten genannt.

7. Amtszeiten der RVM und Generaldirektoren der Reichsbahn

Reichsverkehrsminister:

* 13.02.1919 - 01.05.1920 Johannes Bell (Zentrum), (1868 - 1949)

* 01.05.1920 - 08.06.1920 Gustav Bauer (MSPD), (1870 - 1944)

* 25.06.1920 - 12.08.1923 Wilhelm Groemer (parteilos), (1867 - 1939)

* 13.08.1923 - 15.12.1924 Rudolf Oeser (DDP), (1858 - 1926)

* 05.01.1925 - 17.12.1926 Rudolf Krohne (DVP), (1876 - ?)

* 29.01.1927 - 12.06.1928 Wilhelm Koch (DNVP), (1877 - ?)

* 28.06.1928 - 06.02.1929 Theodor von Guérard (Zentrum), (1863 - 1943)

* 13.04.1929 - 27.03.1930 Adam Stegerwald (Zentrum), (1874 - 1945)

* 30.03.1930 - 07.10.1931 Theodor von Guérard (Zentrum), (1863 - 1945)

* 09.10.1931 - 30.05.1932 Gottfried R. Treviranus (KVP), (1891 - 1971)

* 01.06.1932 - 02.02.1937 Paul Freih. Eltz v. Rübenach (parteilos), (1875-1943)

* 02.02.1937 - 08.05.1945 Julius Dorpmüller (parteil., sp. NSDAP), (1869 - 1945)

Generaldirektoren der Deutschen Reichsbahn:

* 1924 - 1926 Rudolf Oeser

* 1926 - 1945 Julius Dorpmüller

[1] In Preußen z.B. bis 1919 das Ministerium der öffentlichen Arbeiten, in anderen Ländern das Finanzministerium. Ein ausschließlich für den Verkehr zuständiges Ministerium wurde in Deutschland erstmalig 1904 in Bayern errichtet.

[2] Nach dem Beitritt vieler Bahnverwaltungen des europäischen Auslands erweiterte sich der Verein 1932 zum Verein Mitteleuropäischer Eisenbahnverwaltungen.

[3] Sarter, Adolf und Kittel, Theodor, Was jeder von der Deutschen Reichsbahn wissen muss. Ein Überblick über Entstehung, Verfassung, Aufgaben und Wirken der Deutschen Reichsbahn, Leipzig 1939, S. 7.

[4] Gall, Lothar, Die Staatsbahn vor dem Ersten Weltkrieg. In: Die Eisenbahn in Deutschland von den Anfängen bis zur Gegenwart, hrsg. von Lothar Gall und Manfred Pohl, München 1999, S. 56; künftig: "Eisenbahn in Deutschland..."

[5] Gottwaldt, Alfred, Deutsche Reichsbahn. Kulturgeschichte und Technik, Berlin 1994, S. 11.

[6] Geschichte der Eisenbahn in Deutschland. Katalog zur neuen Dauerausstellung im Deutschen Bahn Museum, Bd. 2: Im Dienst von Demokratie und Diktatur. Die Reichsbahn 1920-1945, Nürnberg 2002, S. 10; künftig: "Katalog DB Museum..."

[7] Kopper, Christopher, Handel und Verkehr im 20. Jahrhundert (Enzyklopädie Deutscher Geschichte Band 63, hrsg. von Lothar Gall), München 2002, S. 3.- Besonders ins Gewicht fiel die Abgabe der Lokomotiven, denn die Loks waren und sind das "Herz des Eisenbahnbetriebs".

[8] Wie z.B. auch die Überführung der Wasserstraßen auf das Reich (vgl. hierzu Findbuch R 5, Bd. 1). Zum Kraftverkehr und Straßenwesen sowie zum Luftverkehr siehe Findbuch R 5, Bd. 2.

[9] Reichsanzeiger 1919, Nr. 138.

[10] Deutsche Verwaltungsgeschichte, hrsg. von Kurt A. Jeserich u.a., Bd. 4: Das Reich als Republik und in der Zeit des Nationalsozialismus, Stuttgart 1984 (künftig: Verwaltungsgeschichte...).

[11] Gesetz betreffend den Staatsvertrag über den Übergang der Staatseisenbahnen auf das Reich, RGBl 1920, S. 773.

[12] Der 1. April war identisch mit dem Beginn des Reichshaushaltsjahres, das nun unter den neuen Bedingungen der Erzbergerschen Finanz- und Steuerreform begonnen werden musste.

[13] Verwaltungsgeschichte ..., S. 925.

[14] 1913 hatten innerhalb der Grenzen der späteren Republik nur etwa 692.000 Personen bei den Eisenbahnen gearbeitet, siehe Katalog DB Museum, S. 10.

[15] Eisenbahn in Deutschland ..., S. 91.

[16] Bis Oktober 1924 sank die Zahl der Reichsbahner von über einer Million auf 775.000; s. Kopper, S. 5.

[17] Sitz zunächst in Düsseldorf, später in Mainz. Nach Sabotageakten auf Regiebahnstrecken antworteten die Besatzungsmächte mit drakonischen Maßnahmen: Es gab Ausweisungen, Beschlagnahmungen, gewalttätige Auseinandersetzungen und Verhaftungen.

[18] Auch die Reichsbahn druckte eigenes Notgeld, den sog. "Oeserrubel", benannt nach dem Reichsverkehrsminister Rudolf Oeser. Dieses Notgeld fand sogar die meiste Verbreitung im Deutschen Reich, s. Katalog DB Museum, S. 20.

[19] RGBl S. 57.

[20] Verwaltungsgeschichte .., S. 266.

[21] Zu den Bahnen des allgemeinen Verkehrs zählten nur nicht die ausschließlich dem Privatverkehr dienenden Privatanschlussbahnen, Bergwerksbahnen usw.

[22] Verordnung vom 3. April 1924, Reichsverkehrsblatt, S. 109.

[23] Verabschiedet vom Reichstag am 31. August 1924, RGBl II, S. 272-280.

[24] D.h. sie wurde mit Schuldverschreibungen in Höhe von 11 Milliarden Goldmark belastet, die ab dem zweiten Jahr (1925) mit jährlich 5% zu verzinsen und ab dem vierten Jahr (1928) mit 1% zu tilgen waren.

[25] Eisenbahn in Deutschland ..., S. 116.

[26] Carl Friedrich von Siemens (1872-1941), seit 1919 Chef des Siemens-Konzerns.

[27] Zunächst Rudolf Oeser (1858-1926) und nach seinem Tod ab 1926 Julius Dorpmüller (1869-1945), der spätere RVM, den Alfred Gottwaldt zutreffend als "Hindenburg der Reichsbahn" bezeichnet; vgl. Gottwaldt, Alfred B., Julius Dorpmüller, Die Reichsbahn und die Autobahn. Verkehrspolitik und Leben des Verkehrsministers bis 1945, Berlin 1995, S.126.

[28] Novelle zum Reichsbahngesetz vom 13. März 1930, RGBl II S. 359.

[29] Im Jahre 1928 setzte die DRG einen Antrag auf Tariferhöhung gegen den Einspruch der Reichsregierung vor diesem Schiedsgericht durch.

[30] Hier wäre vor allem die Betriebskostenrechnung zu nennen.

[31] Eine der wesentlichsten technischen Innovationen war die Ausrüstung der Güterzüge mit der sog. Kunze-Knorr-Bremse, einer durchgehenden automatischen Druckluftbremse.

[32] An bemerkenswerten Neubauten aus dieser Zeit sollen nur die Errichtung des Hindenburgdamms (1923-1927), des Rügendamms (1931-1936) und die Zugspitzbahn (1928-1930) erwähnt werden.

[33] Im Großraum Berlin fand bereits ab 1924 ein elektrischer Zugbetrieb mit Triebwagen (Vereinigung von Wagen und Lok) statt. Seit 1930 führen die Berliner "Stadt-, Ring- und Vorortbahnen" die Bezeichnung "S-Bahn".

[34] In R 5/7097a sind diese Firmen im einzelnen aufgelistet.

[35] Vgl. hierzu Findbuch R 5, Bd. 2, S. IV f.

[36] Kopper, Christopher, S. 9.

[37] 1929 standen dem Personal als Dienst- oder Mietwohnung insgesamt 175.000 Wohnungen zur Verfügung, so dass auf vier Reichsbahner eine Wohnung entfiel; über 33.000 dieser Wohnungen sind in den Jahren 1925 bis 1929 neu gebaut worden. Eisenbahn in Deutschland ..., S. 151.

[38] Im März 1936 wies der Generaldirektor der DRG die RBD-en und Zentralämter an, in bezug auf den Stempelgebrauch der Dienststellen die Bezeichnung "Gesellschaft" zu vermeiden. Vgl. Eisenbahnen in Deutschland, S. 168.

[39] RGBl I S. 75.

[40] RGBl I S. 130 ff.

[41] Kopper, Christopher, S. 21 und siehe nächste Seite.

[42] RGBl 1933 II S. 509.

[43] Siehe Findbuch R 5, Bd. 2.

[44] RGBl II S. 47 ff.

[45] Dem entsprach, dass ihr überliefertes Symbol, der Adler, durch den Hakenkreuzadler ersetzt wurde.

[46] Verwaltungsgeschichte ..., S. 931.

[47] RGBl I S. 1205 ff.

[48] Ebenda § 3 (3).

[49] Mitte der dreißiger Jahre wies die Reichsbahn als größtes Unternehmen der Welt ein bilanzmäßiges Vermögen von 23 Milliarden Reichsmark auf, vgl. Eisenbahnen in Deutschland ..., S. 200.

[50] Katalog DB Museum ..., S. 78.

[51] Eisenbahnen in Deutschland ..., S. 204.

[52] Ebenda, S. 202.

[53] Ebenda, S. 174.

[54] Ebenda, S. 241. Breitspur sind alle Spurweiten, die breiter als die Normalspur 1435 mm sind.

[55] Ebenda, S. 181. Der "Flug-Eisenbahn-Verkehr" (Flei-Verkehr) für besonders eilbedürftiges Stückgut hatte jedoch später keine große praktische Bedeutung.

[56] Ebenda, S. 196. Die Mitgliedszahl der Eisenbahnvereine, die in einem Reichsverband zusammengeschlossen waren, stieg von 400.000 im Jahr 1933 auf mehr als 650.000 im Jahr 1937.

[57] 1944 nach Zusammenschluss mit dem Hauptausschuss Kraftfahrzeuge umgebildet zum Hauptausschuss Fahrzeuge, vgl. R 5/2170 und Bestand R 4304.

[58] Katalog DB Museum ..., S. 104.

[59] Ende 1943 taten schließlich ca. 190.000 Frauen in allen Bereichen der Reichsbahn Dienst, mit einer Arbeitszeit von 54 - 56 Stunden pro Woche; vgl. Eisenbahnen in Deutschland ..., S. 235 [60] Katalog DB Museum ..., S. 112.

[61] Ebenda.

[62] Die meisten davon (412.7000, also knapp ein Drittel) waren im Betriebsabfertigungsdienst tätig. Die meisten Ausländer (90.200) wurden im Bahnunterhaltungsdienst beschäftigt, vgl. R 5/16237.

[63] Pro Person und Schienenkilometer erhielt sie 0,04 RM, für Kinder unter 10 Jahren 0,02 RM, vgl. Eisenbahnen in Deutschland ..., S. 240. Diese Gelder stammten aus dem Vermögen jüdischer Bürger selbst, das ihnen infolge der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom November 1941 "zugunsten des Reiches" entzogen worden war; vgl. Verfolgung und Verwaltung. Die Rolle der Finanzbehörden bei der wirtschaftlichen Ausplünderung der jüdischen Bevölkerung in Berlin. Dokumentation einer Ausstellung im Haus am Kleistpark, Berlin 2003, S. 7.

[64] Ebenda, S. 241.

[65] Verwaltungsgeschichte ..., S. 935.

[66] Es wird die am tiefsten gehende Struktur der Jahre ab 1937 zu Grunde gelegt.

[67] Das Hauptwagenamt unterstand vorher (von - bis ?) dem Zentralamt Berlin.

[68] Wichtigste Veränderungen: Zwischen 1930-1937 Auflösung der RBD-en Ludwigshafen, Magdeburg, Oldenburg und Würzburg, 1935 neu hinzu RBD Saarbrücken und 1938 neu hinzu die RBD-en Wien, Linz und Villach.

[69] Insgesamt 10: Berlin, Breslau, Dresden, Hamburg, Kassel, Köln, Königsberg, München, Stuttgart und Wien.

[70] Az. 4 Aü, R 5 / 16236. Dies erklärt sich daraus, dass die RBD Dresden nach der Annexion des Sudetengebietes 1938 für den größten Teil dieser Gebiete zuständig wurde, dort also keine neuen RBD-en eingerichtet wurden.

[71] Bahnbetriebswerke hatten bei wenig Betrieb den gesamten Lokomotiv- und technischen Wagendienst abzuwickeln, während an verkehrsreichen Punkten eigene Betriebswerke für Lokomotiven und daneben Betriebswagenwerke als gesonderte Dienststellen bestanden.

[72] = damals gebräuchliches Wort für Elektrifizierung.

[73] S.o. Abschnitt 1.3.

[74] RGBl 1920, S. 797-799.

[75] Ebenda, S. 800-804.

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Die Eisenbahntechnischen Ausstellungen 1924 in Seddin und in der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg

Die soeben gegründete Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft und der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) veranstalteten vom 21.09. bis 05.10.1924 im Verschiebebahnhof Seddin und in der Technischen Hochschule Charlottenburg eine sowohl in Deutschland als auch international stark beachtete Ausstellung zum Stand der Eisenbahntechnik. Parallel dazu fand vom 21.09. bis 27.09.1924 in der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg die Eisenbahntechnische Tagung mit 48 Fachvorträgen namhafter deutscher und internationaler Eisenbahningenieure statt, an der rund 5000 Experten aus nahezu allen europäischen Ländern, den USA, China, Japan und der Türkei teilnahmen. Diese bildete die konsequente Fortsetzung und den vorläufigen wissenschaftlichen Höhepunkt nach zwei vorangegangenen stark beachteten eisenbahntechnischen VDI-Tagungen, der Dieselmaschinen-Tagung 1923 und der Hochdruckdampf-Tagung 1924. Sämtliche Vorträge dieser Tagung hat der VDI in einem Tagungsband zum Preis von 25 Goldmark herausgegeben, der neben den Vortragstexten auch noch 224 Seiten Reklame der deutschen Schienenfahrzeug- und Zulieferer-Industrie enthält und schon allein deswegen aus heutiger Sicht immer noch höchst interessant anzusehen ist.

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"HiFo-Krimi, der zweite: Meinersen 1926, Autor: Thomas Teuteberg-Kempf

Datum: 01.09.05 18:12

Hallo HiFo-Freunde,

nachdem der erste HiFo-Krimi von Euch so begeistert aufgenommen worden ist, traue ich mich an eine Fortsetzung heran. Drehen wir also das Rad der Geschichte 79 Jahre zurück und horchen, was ein Zeitzeuge zu berichten hat. Tatort: die Blockstelle 169 in der Nähe von Meinersen an der Berlin-Lehrter Eisenbahn. Über das gewählte Stilmittel lässt sich sicherlich trefflich streiten - ich persönlich finde es höchst gelungen.

"Ich heiße August Klußmann und bin Blockwärter auf der Blockstelle 169 da drüben im Wald. Von da bediene ich die Schranken hier am Schwülper Weg bei Kilometer 209,08 und die beiden Signale, auf jeder Seite vom Oberweg eines. Sie wollen wissen, wie das vor sich gegangen ist, damals am 19. August 1926? Ach, ja! Das habe ich nun schon so oft erzählt, aber wenn sie es nun unbedingt wissen wollen!

Ja, das war der Schnellzug D 8, von Berlin nach Amsterdam. Planmäßige Abfahrt in Berlin, Lehrter Bahnhof am 18.8. um 10:34 Uhr. Ziemlich spät, stimmt schon, aber dann war er am nächsten Morgen pünktlich zum Frühstück in Amsterdam. Hier bei uns kam er immer so kurz nach 2 Uhr durch, denn um 2:45 Uhr sollte er pünktlich in Hannover sein. Wie lang der Zug war? Na, ja, das hing davon ab, wie viele Reisende mitfahren wollten. Aber normalerweise hatte er einen Postwagen - das ist der, um den es den Ganoven ging -‚ einen Packwagen und neun Personenwägen.

Und genau so war es auch am Tage des Uberfalls. Ich machte Dienst in meiner Blockstelle. Es war nichts Besonderes los, aber es war eine scheußliche Nacht. Trübe und regnerisch. Ich war froh, daß ich im Trockenen saß. Ich hatte gerade das Signal für den D-Zug aus Berlin auf Durchfahrt gestellt und die Schranken geschlossen. Da sah ich schon die hellen Lichter der Maschine.

Das war eine Schnellzuglok der Baureihe 172. Vorzügliches Gerät! Eine Dreizylinder-Heißdampflok mit drei Kuppelachsen. So ein Ding wiegt fast 81 Tonnen und ist für eine Geschwindigkeit von bis zu 110 Stundenkilometern zugelassen. Aber natürlich können die noch schneller! Immerhin haben wir 96 Stück davon bei der Reichsbahn. Dies hier war die Nummer 17 273.

Der Zug kam von da aus Richtung Leiferde. Bald darauf fuhr er an mir vorbei. Ich wollte mich gerade wieder um meine Schranken kümmern, da ertönte plötzlich ein furchtbarer Krach, und der Zug war plötzlich weg. Einfach von der Bildfläche verschwunden! Mir war sofort klar, daß da ein Unglück geschehen sein mußte.

Im selben Augenblick fiel mir der beschleunigte Personenzug 233 ein. Der kam - meistens vollbesetzt - aus Hannover und hatte bereits die Station Meinersen verlassen. Ich stellte sofort das Signal auf "Halt und lief mit der Dienstlaterne in der Hand auf den Gleisen dem Zug entgegen. Der passierte in dem Augenblick die Meinersener Okerbrücke, die damals gerade erneuert wurde - daher hatten die Lumpen auch die Werkzeuge. Ich schwenkte die ganze Zeit meine Laterne und es gelang mir tatsächlich, den Zug zum Anhalten zu bringen. Wäre der nämlich weitergefahren, wäre er unweigerlich mit voller Geschwindigkeit auf die entgleisten Wagen des D-Zuges gefahren, und wer weiß, was dann noch alles passiert wäre.

Schnell rannte ich zurück zur Blockstelle und verständigte die Bahnhöfe Meinersen und Leiferde. Ich ließ Hilfszüge heranholen. Die ganze Nacht war erfüllt vom heulenden Pfeifen der entgleisten Lokomotive. Ich rannte wieder zur Unfallstelle. Von dort tönte mir das Rufen und Schreien der Verletzten entgegen. Weil es so viel geregnet hatte und alles naß war, gelang es mir erst nach einer Weile, ein Feuer anzuzünden. Als ich es endlich geschafft hatte, begann ich in seinem Schein mit den Bergungsarbeiten. Es war schrecklich! So alt ich auch werden mag, diese Nacht werde ich nie vergessen!“

Ja, so war das! 21 Tote hat es bei dem Unglück gegeben und 35 Verletzte. Unter den Toten war auch der Zugführer des D-Zuges und sogar ein Brautpaar auf der Hochzeitsreise! Arme Leute! Das dauerte dann Tage, bis alles wieder aufgeräumt und repariert war. Allein für das Auseinanderziehen der ineinandergeschobenen Personenwagen brauchte man zwei Lokomotiven. Dabei rissen armdicke Stahlseile wie Bindfäden.

Das Schlimmste aber waren die vielen Leute! Überall kamen die her, sogar aus Süddeutschland und aus dem Rheinland. Viele wollten sich nach ihren Verwandten erkundigen, die in dem Zug gewesen sein sollen, aber die meisten waren einfach neugierig. Der Andrang war so stark, daß einem kleinen Mädchen dabei das Bein gebrochen wurde. Natürlich haben die Gastwirte ordentlich daran verdient. Schon am nächsten Morgen gab es hier einen Bierausschank, einen Tabakverkauf und heiße Würstchen.

Na ja, ein bißchen habe ich daran natürlich auch verdient! Der Dr. Dorpmüller, der Direktor von der Reichsbahn, hat mir persönlich für meinen Einsatz gedankt, mir eine schöne Urkunde überreicht und mir die Hand geschüttelt, und zur Belohnung habe ich noch 1000 Reichsmark bekommen. Das ist schon was!

Die Gangster? Ja, die hat man bald gefaßt! Die Reichsbahn hatte 25.000 Reichsmark Belohnung ausgesetzt und die Regierung in Lüneburg noch einmal 2000, und da gab es viele Hinweise. Die führten auch zum Erfolg. Das waren zwei neunzehnjährige Arbeitslose, die als Landstreicher umherzogen. Man hat sie dann in Berlin geschnappt und beim Schwurgericht in Hildesheim verurteilt.

Die beiden, die den Anschlag ausgeführt hatten - die hießen Otto Schlesinger und Willi Weber - die hat man zum Tode verurteilt und dem Bruder von dem einen, Walter Weber, hat man wegen Beihilfe und Erteilung von Ratschlägen zwei Jahre Gefängnis aufgebrummt. Aber unser Reichspräsident von Hindenburg hat die beiden Haupttäter zu lebenslangem Zuchthaus begnadigt. Ja, da können sie nun lange darüber nachdenken, was sie angerichtet haben!"

Soweit die Worte des braven Bahnangestellten, dem das Entsetzen deutlich anzumerken ist. Bei der Beantwortung der Frage, wie es zu dem Unglück kommen konnte, offenbart sich eine gewisse Tragik: Nachdem der Versuch der beiden Täter, den Zug mit Stahlstangen auf den Schienen zu stoppen, fehlschlug, kamen sie auf eine andere Idee: Mit dem Spezialwerkzeug einer in der Nähe arbeitenden Brückenbaukolonne "müsste man dem Zug die Schienen wegnehmen können". Gesagt, getan. Warum die Arbeiter das Fehlen eine kompletten Arbeitssatzes über einen längeren Zeitraum hinweg nicht bemerkten, erzählen die Ermittlungsakten leider nicht ...

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Historische Fahrkarte von Berlin nach Tokio 1926, hier mal die Verbindung Berlin - Tokio und zurück vom Sommer 1935. Alle Zeiten Ortszeiten !

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Hinfahrt: 1 D 123 Berlin – Negoreloje Berlin Schles. Bf. ab 23.50 (es bestand Anschluß aus Paris)

1 Warschau Hbf. an 9.02 ab 9.12

2 Negoreloje an 20.05

2 umsteigen in Expresszug Negoreloje – Moskau Negoreloje ab 21.40

2 Moskau Belor. Bf. an 11.35

3 umsteigen/Übergang nach Moskau Nordbf., weiter mit Luxuszug Moskau - Mantschshurija Moskau Nordbf. ab 17.45 (an So und Do)

3 Mantschshurija an 3.20 (an So und Do, fast eine Woche später)

10 umsteigen Mantschsjurija ab 16.10

10 Charbin an 13.30 ab 9.30 (hier Übernachtung)

11/12 Antung an 7.15 ab 8.05 12 Keijo an 21.25

12 Fusan an 8.30

13 umsteigen auf Schiff Fusan ab 10.30

13 Chimonoseki an 18.30

14 weiter mit Zug Chimonoseki ab 20.30

14 Tokio an 16.55 15

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Rückfahrt: 1 japanischer Binnenzug Tokio ab 13.00

1 Chimonoseki an 8.50

2 umsteigen auf Schiff Chimonoseki ab 10.30

2 Fusan an 18.30

2 weiter mit Zug Fusan ab 19.55

2 Keijo ab 7.00

3 Antung an 16.15

3 Charbin an 14.30 ab 8.30 (Übernachtung)

4/5 Mantschshurija an 7.10

6 umsteigen in Luxuszug nach Moskau Mantschshurija ab 8.10 (nur Do und Mo)

6 Moskau Nordbf. an 17.00 (nur Mi und Sa)

13 umsteigen/Übergang zum Expresszug nach Stolpce Moskau Belor. Bf. ab 22.45

13 Stolpce an 12.42

14 Umsteigen auf Kurswagen des D 124 nach Berlin Stolpce ab 13.25

14 Warschau Hbf. an 21.22 ab 22.15

14 Berlin Schles. Bf. an 7.43 (Übergang u. a. nach Paris) 15

Quelle: "Amtliches Kursbuch für das Reich 1935, Auslandsfahrpläne, Tabellen 559, 560, 567 und 567 a.

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die Fahrkarten von Berlin nach Tokio aus dem Jahr 1926

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Münchner Neueste Nachrichten

Freitag, 25. Juli 1930, Nr. 200

Neue Wege für Durchgangszüge, Gefährdung Münchens im internationalen Durchgangsverkehr

Nach der Eröffnung der Brennerbahn errang München das internationale Verkehrsmonopol für den gesamten Italienverkehr aus allen nördlichen, östlichen und auch den nord- und westlichen Ländern, nur ein geringer Teil dieses Verkehrs lief weiterhin noch über Nizza und Ventimiglia. Der Nord=Süd=Expreß, sowohl wie der Berlin=Neapel=Ägypten=Expreß liefen über München - Brenner und auf dem Münchner Zentralbahnhof kreuzten sich die Expreßzüge des Nord=Südverkehrs mit dem täglich bis Constanza bzw. Konstantinopel durchlaufenden Orientexpreßzug. Der Hauptbahnhof München war mit 16 Gleisen in seiner Riesenhalle seinerzeit der größte aller Bahnhöfe der ganzen Welt, nur ein einziger, der von St. Louis in Amerika, konnte mit ihm konkurrieren. Bei dieser Sachlage war das Verkehrsmonopol Münchens in Mitteleuropa festgefügt; München war der große Umsteigeplatz, wo alle von Paris, Wien, Berlin, Florenz, Zürich, Basel, Hamburg ausgehenden Züge sich trafen. Die Stellung Münchens schien unerschüttert und für dauernd gefestigt; trotzdem aber ist schon vor dem Kriege ein Stück nach dem anderen davon abgebröckelt und heute hat München allen Anlaß die Reste einer einstigen europäischen Vormachtstellung zähe zu verteidigen.

Man sage nicht, der Durchgangsverkehr habe für München als Stadt im allgemeinen keine Bedeutung, da eine so große Stadt wie München immer Anschlußschnellzüge an die internationalen Strecken nach Wörgl, Bregenz=St. Margarethen, die Rheintallinie über Bruchsal, nach Berlin usw. haben muß. Das ist richtig, richtig ist aber auch, daß so mancher Zug, der auch den Münchnern direkt zugute kommt, gefahren werden kann, der sonst nie eingesetzt würde, wenn eben nicht ein recht lebhafter Durchgangsverkehr stattfindet. Und viele werden es sich doch überlegen, beispielsweise bei einer Italienreise, in München nur durchzufahren und die Stadt beiseite liegen zu lassen, wenn schon einmal der Weg über diese Stadt führt.

Die erste große Erschütterung erlitt der früher unantastbare Vorrang der Stadt München als europäisches Verkehrszentrum ganz großen Stils, als mit der Eröffnung der Gotthardbahn die bisherige Monopolstellung der Brennerlinie im Italienverkehr erschüttert wurde. Nicht umsonst datiert der große Aufschwung von Städten wie Frankfurt, Basel und Zürich von der Eröffnung der Gotthardbahn an. Man weiß, daß internationale Bahnen, wie es die Gotthard= oder Brennerlinie sind, nicht nur für den Fremdenverkehr ihre Bedeutung haben, sondern daß auch an den Ausgangs= und Endpunkten sich (wie wir ja am Beispiel Großmarkthalle sehen) der Handel in allen möglichen Produkten des durch einen solchen internationalen Schienenstrang erschlossenen Landes entwickelt. Gewiß, die Brennerbahn behielt eine große, internationale Verkehrsbedeutung bei und hat sie noch heute, das Verkehrsmonopol Münchens aber ist durchbrochen, nur mehr der auf Verona - Florenz und Venedig gerichtete Verkehr, nicht mehr aber der noch wichtigere in Richtung Mailand - Genua geht über den Brenner. Es soll von der nächsten Saison an ein neuer internationaler Schnellzug Berlin - Ventimiglia (L 20, 220, L 19, 119) gefahren werden, der München überhaupt nicht berührt! Früher fuhr der Nord-Süd= und der Berlin=Neapel=Ägypten=Expreß über München - Kufstein, der neue Riviera=Neapel=Expreß wird über Frankfurt - Basel verkehren. Außer der Rheintalstrecke, die beispielsweise auch den Verkehr Berlin - Chur, allerdings auf einer um volle 200 km weiteren Strecke als über Nürnberg - Augsburg - Lindau, bedient, will neuerdings auch Württemberg Bayern den noch verbliebenen Anteil des Nord=Süd=Verkehrs mit Italien und insbesondere auch mit der Schweiz streitig machen. Dazu soll mit einem Aufwand von ungezählten Millionen die Linie Osterburken - Stuttgart - Singen - Schaffhausen zu einer Schnellzugstrecke umgebaut werden. Und dabei ist es nicht einmal richtig, daß die schnellste und kürzeste Verbindung Berlin - oder Hamburg - Schweiz über Stuttgart - Schaffhausen führt; die kürzeste und technisch beste Verbindung findet über Augsburg - Lindau statt, diese Verbindung ließe sich nochmals um 25 km abkürzen, wenn Württemberg auf seinem Boden die Linie Memmingen - Wangen als Schnellzugstrecke ausbauen ließe.

Und wie im Nord=Süd=Verkehr, so ist es auch bezüglich anderer internationaler Verkehrsbeziehungen durch und über Bayern. Früher, bevor die Arlbergstrecke eröffnet gewesen war, war es ganz selbstverständlich, daß der ganze, von Budapest, Bukarest, Konstantinopel, Wien usw. kommende große internationale Verkehr über Salzburg - München - Ulm nach Paris geleitet wurde. Als aber dann die Arlbergstrecke fertig wurde, zeigte sich auf einmal eine gewisse Vorliebe, Bayern auch das Monopol im Ost=West=Verkehr wegzunehmen. Und das, obwohl überall bekannt sein dürfte, daß der Reiseweg von Wien und Salzburg über den Arlberg nach Paris usw. ganz erheblich weiter ist als der über München - Straßburg. Also auch das frühere, genau so wichtige Verkehrsmonopol Münchens im Ost=West=Verkehr ist heute angestritten. Die Reichsbahn hat es in der Hand, durch Wiederaufnahme der zwischen München und Augsburg halbwegs steckengebliebenen Elektrifizierung der Ost=West=Linie Salzburg - Straßburg einen kaum antastbaren Vorsprung zu sichern. Mit der österreichischen Tauernbahn und der Mittenwaldbahn ist Bayern nochmals eine Chance geboten worden, seine Stellung im internationalen europäischen Verkehr zu festigen. Beide Strecken ermöglichen erhebliche Abkürzungen, beide führen durch landschaftlich ausgezeichnete Gegenden, sie restlos auszunützen und in den Dienst des großen Verkehrs zu stellen, muß gelingen.

Hans Huber, Augsburg

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Anmerkung zum oben stehenden Artikel: bereits 1930 war der zwischen 1909 und 1915 erbaute Leipziger Hauptbahnhof mit 26 Gleisen grösser als der Hauptbahnhof München mit 16 Gleisen.

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01 - die Vorgeschichte 1870 bis 1919

03 - die Vorgeschichte 1933 bis 1945

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letzte Änderung: 28.10.2024