15.1 die Jahre ab 2011

 

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Berliner Zeitung

 

die Artikel zum Brandanschlag Ostkreuz vom 23. Mai 2011, Verkehrskollaps

 

Auf der Strecke geblieben

Wegen des Kabelbrandes am Ostkreuz fielen S- und Regionalbahnen aus. Busse für den Ersatzverkehr wurden erst spät bereitgestellt. Die Fahrgäste mussten zum Teil sehr lange warten.

 

der Ereignisort am Ostkreuz, Foto dpa

 

von Peter Neumann, Frank Herold, Karin Schmidl und Martin Matte

Berlin - Peter Fox hat die passende Zeile zu dem Bahn-Chaos schon vor zwei Jahren gedichtet: „Frühschicht schweigt, jeder bleibt für sich. Frust kommt auf, denn der Bus kommt nicht“, singt er in seinem Berlin-Lied „Schwarz zu blau“. Hunderttausende Berliner hätten am Montag einstimmen können. Wegen des Kabelbrandes am Ostkreuz fielen S- und Regionalbahnen aus, Busse für den Ersatzverkehr wurden erst spät bereitgestellt. Das Durcheinander hat in den frühen Morgenstunden begonnen.

Kurz nach drei Uhr: Bis eben war es noch eine ruhige Nacht. Auch für die Mitarbeiter der Deutschen Bahn (DB) in Berlin, die den Zugbetrieb und die Strecken überwachen. Doch ab 3.11 Uhr häufen sich auf ihren Bildschirmen die Fehlermeldungen. Verwundert erkennen die DB-Leute: Signale sind ohne Vorwarnung reihenweise ausgefallen, für die S-Bahn gibt es im Osten und im Südosten des Netzes keinen Fahrstrom mehr. Der Griff zum Telefon erweist sich in den meisten Fällen als unnütz, denn auch die bahninternen Fernmeldenetze funktionieren nicht mehr. Zudem ist eine Vodafone-Basisstation ausgefallen, eine fünfstellige Zahl von D2-Funktelefonen im Umfeld bleiben ebenfalls tot. Damit nicht genug: Auch die Internetseite www.bahn.de verabschiedet sich ins Daten-Nirwana, denn auch ihr Kabel ins DB-Rechenzentrum Mahlsdorf war betroffen. Die Fahrgastinformationssysteme haben ebenfalls den Dienst quittiert. Auf vielen Stationen im betroffenen Gebiet schweigen die Lautsprecher und die elektronischen Fahrtrichtungsanzeiger präsentieren leere blaue Flächen. „Das ist der Super-GAU“, sagt ein S-Bahner. „Jemand muss die Hauptschlagader der DB lahm gelegt haben.“ Er weiß in dem Moment:

Dieser Tag wird für viele Fahrgäste fürchterlich. Ein Drittel des S-Bahn-Netzes liegt still, auf den Eisenbahnstrecken nach Fürstenwalde/Spree, Königs Wusterhausen und Schönefeld ist kein regulärer Fern- und Regionalverkehr mehr möglich.

4.15 Uhr: Gegenüber vom Klinkergebäude der S-Bahn-Netzleitstelle am Markgrafendamm 24b tropft weißer Schaum träge von der Stahlkonstruktion, die in knapp fünf Meter Höhe mehrere dicke Kabel über die Fahrbahn hinwegführt. Die Feuerwehr hat den Brand, der ihr um 3.05 Uhr gemeldet wurde, unter Kontrolle. Doch sie kann nicht mehr verhindern, dass die Starkstromleitung für die S-Bahn und die anderen Kabel vollständig zerstört wurden. Nur ein paar Isolierungen sind übrig geblieben, von denen Qualm aufsteigt. Dort, wo die Kabelbrücke auf der Westseite des Markgrafendamms einen Knick macht, hat sich der Brandherd befunden. Sie wurde aufgestellt, damit die Bagger auf der Ostkreuz-Baustelle freie Bahn haben. Polizisten haben die Straße gesperrt. Die Busse der BVG-Linien 194, 104 und 347 müssen einen Umweg fahren. „Für mich war heute früh erst mal Joggen angesagt, weil ich erst am Treptower Park aussteigen durfte“, erzählt eine S-Bahnerin aus der Ostkreuz-Frühschicht. „Und dann ließ mich die Polizei nicht durch, die hatten offenbar noch nie etwas von einer Fahrdienstleiterin gehört.“ Sie habe es aber noch geschafft.

6.10 Uhr: Das Chaos ist voll ausgebrochen. Was die Hörfunksender in ihren Verkehrsnachrichten und die S-Bahn im Internet mitteilen, lässt sich relativ kurz zusammenfassen. Nur auf den S-Bahn-Linien S 1, S 2 und S 25, die in Nord-Süd-Richtung verlaufen, fahren die Züge planmäßig. Doch östlich von der Warschauer Straße fährt nichts mehr, auch im Ring klafft eine große Lücke. Aus dem Betriebswerk Rummelsburg kommen die ICE-Züge nach Frankfurt am Main und Köln nicht heraus, was bundesweit Auswirkungen hat. In ganz Deutschland klicken Fahrgäste vergeblich die Bahnseite an. Sie sehen nur eine leere weiße Fläche.

Gegen 8.30 Uhr: Die Halbinsel Stralau ist nach dem Brand von Berlin abgeschnitten. An der Bahnbrücke Alt-Stralau wird seit Monaten gebaut und so muss der gesamte Verkehr seither am S-Bahnhof Ostkreuz vorbei. Schon unter normalen Umständen kommt es deshalb täglich zu stockendem Verkehr oder Staus. Nun ist noch sehr viel mehr Geduld nötig. Eine halbe Stunde habe er gebraucht, um am Ostkreuz vorbeizukommen, sagt ein Fahrer des 347-er Busses. Jetzt sei seine Dienstzeit zu Ende, er fahre zum Betriebshof, erklärt der BVG-Mann den verblüfften Wartenden, die er zurücklässt. Das Umsteigen auf den Pkw ist nicht sinnvoll, die Autos stehen im Stau. Wer zu Fuß geht und gegen 8.30 Uhr am Bahnhof Ostkreuz ankommt, kann Glück haben. Die Züge verkehren wieder – sehr unregelmäßig. Doch die Fahrgäste am Ostkreuz sind Kummer gewohnt. Die Bauarbeiten an dem Knotenpunkt werden noch bis mindestens 2016 dauern. „Die Jüngeren unter uns werden wohl noch erleben, dass es hier wieder normal zugeht“, sagt ein Wartender sarkastisch.

Gegen 9 Uhr: Üblicherweise leert sich der Bus am S-Bahnhof Köpenick, weil dort viele Fahrgäste in die S 3 Richtung City umsteigen wollen. Doch heute geht es in die umgekehrte Richtung. Verhinderte S-Bahn-Pendler drängen in den Bus zu. Ihr Ziel ist der Elsterwerdaer Platz in Biesdorf, in der Hoffnung, dass wenigstens die U 5 fährt. Im Bus stehen die Fahrgäste dicht an dicht. Frauen mit Sitzplatz haben plötzlich kleine fremde Kinder auf dem Schoß, Telefonate („Sorry, ich komme später“) werden zum Gemeinschaftserlebnis, und der Fahrer informiert regelmäßig über Neuigkeiten von der S-Bahn – so zum Beispiel, dass die S 3 bis Betriebsschluss gar nicht mehr fährt. Die Schleichfahrt im Stau (offensichtlich sind besonders viele Berliner auf`s Auto umgestiegen) dauert fast doppelt so lange wie im letzten Winter, als die S 3 auch ausfiel. Im Unterschied zum Winter hört man aber keine Meckerei zum Thema S-Bahn-Chaos.

9.30 Uhr: „So etwas habe ich noch nie erlebt“, sagt ein altgedienter S-Bahner, der seit mehr als 30 Jahren bei dem Unternehmen ist. Noch schlimmer wäre es geworden, wenn der Fahrstrom nicht in der nächtlichen Betriebspause, sondern mitten im Betrieb ausgefallen wäre, meint eine Bahnsteigaufsicht auf dem S-Bahnhof Warschauer Straße. „Und außerdem fahren wir ja jetzt wieder, zum Beispiel auf der S 7 nach Ahrensfelde.“ Doch die wenigen S-Bahnen sind überfüllt, und die Fahrt wird zur Geduldsprobe. Zwar bekommen mehr und mehr S-Bahn-Strecken über zugeschaltete Reserveleitungen wieder Strom. Doch um die Notversorgung nicht zu überlasten, fahren die Züge nur sehr langsam an und zuckeln dann mit gebremsten Tempo dahin. Die Spanierinnen, die in der überfüllten S 7 auf dem Weg zum Ostkreuz sind, werden ihr Flugzeug verpassen. Auch deshalb, weil nach Schönefeld keine S-Bahn mehr fährt.

11.05 Uhr: „Wir wollten am Ostbahnhof in den ICE einsteigen, denn dort ist der Zug leer“, sagt ein 58-Jähriger am Hauptbahnhof. Um 10.30 Uhr sollte es losgehen, erzählt er. „Doch am Ostbahnhof ging gar nichts.“ Zum Hauptbahnhof solle das Paar fahren und dort sein Glück versuchen, habe ihnen ein Mitarbeiter der Bahn gesagt. Doch bereits das war schwierig, sagt der Mann, da die S-Bahn völlig überfüllt war. „Die Leute haben sich gegenseitig beschimpft in dem vollen Wagen“, sagt er. Als er mit seiner Ehefrau am Hauptbahnhof ankam, hätten die Anzeigen nicht richtig funktioniert. „So konnten wir nicht erkennen, von welchem Gleis unser Zug fährt.“ Viel zu spät seien sie dann eingestiegen, und der Zug war schon voll. Nun warten sie auf den nächsten.

16.29 Uhr: Die S-Bahn-Internetseite hält immer noch enttäuschende Nachrichten parat. Die Linien S 46 nach Königs Wusterhausen und S 47 nach Spindlersfeld liegen immer noch still. Für die geplagten Fahrgäste der S 3 gibt es mittlerweile Schienenersatzverkehr zwischen Elsterwerdaer Platz und Köpenick. Wie lange werden die Störungen noch bleiben ? Das mag niemand sagen. „Das wird noch Tage dauern“, sagt Jens Wieseke vom Fahrgastverband IGEB.

Berliner Zeitung, 24.05.2011

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So bekommt die S-Bahn ihren Fahrstrom

Der Strombedarf der S-Bahn ist gigantisch. Normalerweise verbraucht sie 400 Gigawattstunden pro Jahr, das entspricht dem Bedarf von 160 000 Haushalten. Derzeit braucht sie weniger Strom, weil ein Teil der Flotte aus technischen Gründen in den Werkstätten steht. Von den 650 Viertelzügen der S-Bahn, die aus jeweils zwei Wagen bestehen, waren gestern Früh 448 einsatzbereit – Reserven eingerechnet.

An drei Stellen, Abnehmeranlagen genannt, erhält die Deutsche Bahn (DB) den Strom für ihre S-Bahnen vom Energieversorger Vattenfall. Dort trifft der Drehstrom in unterirdischen Leitungen mit einer Spannung von 110 000 Volt ein und wird in 30 000 Volt umgewandelt.

In Unterwerken wird der 30 000-Volt-Drehstrom mit Hilfe von Transformatoren und Gleichrichtern in die Fahrspannung – 750 Volt Gleichstrom – umgewandelt. Sie wird in die Stromschienen geleitet.

Am Westkreuz befindet sich die Abnehmeranlage West. Diese Einspeisestelle ist für die westliche Stadtbahn und den westlichen Ring sowie für die S-Bahn-Strecken nach Spandau, Wannsee und Potsdam zuständig. Die Anlage Nord unweit vom Gesundbrunnen versorgt die Trassen nach Hennigsdorf, Oranienburg und Bernau.

Der Brand vom Montag ereignete sich in der Nähe der Abnehmeranlage Ost, die sich am Bahnhof Ostkreuz befindet. Er zerstörte die Kabel, die den 30 000-Volt-Drehstrom zu den Unterwerken an den Strecken nach Schönefeld, Königs Wusterhausen, Erkner, Strausberg, Ahrensfelde und Wartenberg leiten. Sie verlaufen normalerweise nicht zusammen. Damit die Bagger auf der benachbarten Ostkreuz-Baustelle ungehindert arbeiten können, wurden sie zusammengefasst. Kabel, die andere Trassen versorgen, waren nicht betroffen.

Berliner Zeitung, 23.05.2011

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Ursache

Polizei findet Brandbeschleuniger am Tatort

Menschenleere am Ostbahnhof. Der Kabelbrand hatte zu erheblichen Zugausfällen geführt.

von Lutz Schnedelbach und Peter Neumann

Berlin - Montagmittag gegen 12 Uhr stand fest: Die Kabeltrasse am Ostkreuz ist angezündet worden. „Wir schließen einen technischen Defekt aus“, sagte ein Polizeisprecher, nachdem Brandermittler den Tatort nach Spuren abgesucht hatten. „Wir haben Reste einer brennbaren Flüssigkeit entdeckt und sichergestellt.“ Die Reste deuten darauf hin, dass unmittelbar an den Kabeln Feuer gelegt worden ist. Die Auswertung der Spuren dauere einige Tage, hieß es.

Am Nachmittag bekannte sich dann eine Gruppe von militanten Atomkraftgegnern zu dem Anschlag. Die Polizei weiß noch nicht, ob das Bekennerschreiben echt ist. Darin heißt es: „Nach all den Katastrophen haben wir die Schnauze voll. Über den sofortigen Ausstieg aus der Atomtechnologie gibt es nichts mehr zu verhandeln. Wir spielen nicht mehr mit.“ Außerdem schrieben die Verfasser: „Über die Schienen der Deutschen Bahn werden Atomtechnik und Atommüll transportiert. Beides sichert den Weiterbetrieb der Reaktoren. Beides gewährleistet der Atomlobby und der Industrie hohe Profite.“ Und weiter: „Selbst wenn der nächste Castor sein Ziel erreichen sollte – er ist politisch nicht mehr durchsetzbar.“ Da helfen keine Polizei und kein Militär. „Das wird zum Aufstand führen !“

Aufschluss über die Täter erhoffen sich die Ermittler von der Analyse des Bekennerbriefes und des Brandbeschleunigers. Mancher Brandstifter mische sich seine Utensilien selbst, sagte ein Fahnder. Anhand der chemischen Zusammensetzung der Flüssigkeit könnten Rückschlüsse auf den Täter gezogen werden. Jeder Brandstifter – egal, welche Motivation er hat – handele nach Polizeiaussagen immer nach demselben Schema, er hinterließe auch immer dieselben Spuren.

Auffällig ist, dass der Täter genau wusste, wo er zündeln muss. Erleichtert wurde ihm die Tat dadurch, dass das Kabel hinter einem maroden Zaun, unmittelbar an der Straße verläuft. Der Zaun, der die Bahnbaustelle Ostkreuz umgrenzt, soll seit einigen Tagen beschädigt sein.

„Wir ermitteln in alle Richtungen“, sagte Polizeipräsident Dieter Glietsch gestern im Innenausschuss. Staatsschützer schließen nicht aus, dass der Anschlag in Ostkreuz mit einem Anschlag in der Nacht zum 1. November 2010 in Neukölln zusammenhängt. Dort hatten Unbekannte Feuer in einem Kabelschacht gelegt und damit das Signal- und Sicherungssystem der S-Bahn östlich des Bahnhofs Neukölln lahmgelegt. Zahlreiche Telefonanschlüsse der DB waren stundenlang von außen nicht mehr erreichbar – auch die Telefone von Bahn-Chef Rüdiger Grube nicht. Einen Tag später bekannte sich eine Gruppe mit dem Namen „Kommando Sebastien Briard“ zu der Tat. Briard war ein Anti-Atom-Aktivist, der 2004 gestorben ist.

Zunächst hatten Ermittler nicht ausgeschlossen, dass Kabeldiebe den Brand gelegt haben könnten, um an das Kupfer zu gelangen.

S-Bahner melden „merkwürdige Vorfälle“

„In letzter Zeit gab es bei uns mehrere Vorfälle, meist an entscheidenden Stellen“ – also dort, wo die Auswirkungen auf den Betrieb besonders groß sind, sagte ein hochrangiger S-Bahner gestern der Berliner Zeitung. „Da kennt sich jemand sehr gut bei uns aus. Es gibt offenbar Menschen, die uns ernsthaft schaden wollen.“ Wobei er sich nicht sicher sei, ob es wirklich Kabeldiebe waren oder die Taten andere Motive haben, sagte der Mann, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Der jüngste größere Schaden dieser Art wurde am 16. Mai entdeckt. Unbekannte hatten sich nahe des S-Bahnhofs Humboldthain an Signal- und Sicherungskabeln zu schaffen gemacht. Stundenlang konnte die S 2 deshalb nur alle 20 Minuten fahren. Auch Schaltkästen waren schon betroffen, sagte ein anderer S-Bahner. „Bei uns gibt es immer wieder merkwürdige Vorfälle, meist an Stellen, wo man von außen kaum Einblick hat.“

Berliner Zeitung, 24.05.2011

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Brand-Anschlag

Bahn prüft besseren Schutz gegen Attacken

Reparaturen nach dem Kabelbrand: Auch am Dienstag war der Zugverkehr in Berlin und Brandenburg beeinträchtigt, jedoch nicht mehr ganz so stark wie am Vortag.

von Peter Neumann

Berlin - Nach dem Brandanschlag vom Montag prüft die Deutsche Bahn (DB), ob sie ihre Kabeltrasse am Ostkreuz künftig besser schützen kann. "Wir sehen uns neuralgische Punkte in unserem Netz daraufhin an, ob wir dort zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen ergreifen müssen. Diese Kabeltrasse gehört dazu", sagte ein Bahnsprecher gestern der Berliner Zeitung.

Die Bahn müsse rasch ein Sicherheitskonzept für ihre zentralen Kommunikationsstränge ausarbeiten, forderte Jens Wieseke vom Fahrgastverband IGEB. "Ein ’Weiter so’ kann es für sie nicht geben." Sonst könnte ein solcher Brandanschlag jederzeit wieder passieren. Kontrolle rund um die Uhr.

Als erste Reaktion gab es ein kurzfristig anberaumtes "Sicherheitstreffen" in der Senatsverwaltung für Inneres. Mit dabei waren unter anderem Staatssekretär Ulrich Freise und Polizeipräsident Dieter Glietsch. Auch die DB, der Verfassungsschutz, das Landeskriminalamt und das Bundesinnenministeriums waren vertreten. Die Runde habe "die Kommunikationswege für einen schnellen Informationsaustausch festgelegt und über das weitere Vorgehen beraten", teilte eine Sprecherin mit.

Die Bahn ließ noch offen, welche Vorkehrungen sie jetzt für die Kabeltrasse am Ostkreuz prüfen will. Bislang gab es dort lediglich Schutzgitter, die aber leicht zerstört werden konnten. Für Wieseke ist klar, was zu tun ist: "Dieser zentrale Nervenstrang muss rund um die Uhr wirksam kontrolliert werden – durch Wachschutz oder mit Hilfe von Videokameras."

Das gelte auch für andere Teile des Kommunikationssystems. Zuletzt war das Telefonnetz der Bahn am 1. November 2010 bei einem Anschlag in Neukölln außer Betrieb gesetzt worden. "Berlin kann sich keinen dritten Vorfall dieser Art leisten. Es geht um das Funktionieren der Stadt", so Wieseke.

Schutz praktisch unmöglich

Noch am Montag hatte die DB argumentiert, dass die am Ostkreuz erfolgte Bündelung von mehr als hundert Strom-, Signal-, Fernmelde- und Datenkabeln aus ihrer Sicht kein Problem darstellte. "Das war mit dem Eisenbahn-Bundesamt abgesprochen", hieß es. Die Zusammenfassung der bislang unterirdischen Leitungen sei nötig gewesen, damit die Bagger auf der Ostkreuz-Baustelle freie Bahn haben. Datentechnik-Experten sagten der Berliner Zeitung, dass sich die Bahn dadurch für Attacken anfällig gemacht habe – zumal es offenbar keine Reservekabel gab. "In anderen Unternehmen wird peinlich genau dafür gesorgt, dass jeder wichtige Strang ein Duplikat hat, das möglichst weit räumlich getrennt wird", hieß es.

"Wir haben ein offenes System mit 34 000 Kilometer Strecke. Es ist praktisch unmöglich, es gegen extreme kriminelle Energie zu schützen", sagte der DB-Sprecher dazu. Bahnchef Rüdiger Grube äußerte sich gestern empört über die Attacke. "Ich bin tief verärgert über diesen feigen Anschlag. Wir konnten deshalb gegenüber Zehntausenden Kunden unser Leistungsversprechen nicht erfüllen", sagte Grube der Berliner Zeitung. "Genauso wie unsere Kunden sind wir Bahner in diesem Fall aber auch Opfer. Gegen solch einen hinterhältigen Anschlag kann man sich leider nicht zu hundert Prozent schützen." Bei allem Ärger sollte aber nicht vergessen werden: "Die Bahn ist unverändert das mit Abstand sicherste Verkehrsmittel."

"Keine AKW-Gegner, sondern Idioten"

Der Regierende Klaus Wowereit (SPD) verurteilte den Anschlag "auf das Schärfste". Er hoffe sehr, "dass diese Tat schnell aufgeklärt wird und die Täter bestraft werden.""Das waren keine AKW-Gegner, das waren einfach Idioten", sagte der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Jürgen Trittin. "Man muss diese Tat als Kampfansage der militanten Linken an ganz Berlin verstehen", so Frank Henkel (CDU). Der Anschlag markiere eine "neue Eskalationsstufe des linksextremistischen Terrors", meinte Bernhard Witthaut, der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei.

Die Tätergruppe, die das Bekennerschreiben verfasst hat, "war uns vorher nicht bekannt", sagte Polizeisprecher Martin Otter. "Die Einschränkungen im S-Bahn-Verkehr werden wahrscheinlich noch bis Donnerstag andauern", teilte die Bahn mit. (mit ls., pk.)

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Betriebsstörungen dauern an

Militante Atomkraftgegner haben sich zu dem Brandanschlag bekannt, der Montag gegen drei Uhr auf eine Kabelbrücke am Ostkreuz verübt worden ist. Folgen: Das S-Bahn-Netz im Osten und Südosten hatte keinen Fahrstrom, Signale und drei Stellwerke fielen aus, bahninterne Telefonnetze und rund 10 000 Vodafone-Mobilfunktelefone funktionierten nicht mehr.

Die zerstörten Kabelleitungen werden geflickt, inzwischen hat die S-Bahn wieder überall Fahrstrom. Gestern funktionierten aber noch nicht alle Signale wieder. Damit östlich vom Ostbahnhof ein sicherer Betrieb möglich ist, wurden dort DB-Mitarbeiter postiert, die anstelle von Signalen die Durchfahrt von Regional- und Fernzügen melden – „Zugschlussmelder“.

Der Regionalverkehr auf den Linien RE 2 und RB 14 könnte heute wieder normal laufen, hofft die Bahn.

S-Bahn-Fahrgäste müssen voraussichtlich bis morgen mit Einschränkungen rechnen. So lange sei noch Pendelbetrieb zwischen Ostbahnhof, Rummelsburg und Lichtenberg erforderlich. Die Linie S 9 wurde verkürzt.

Berliner Zeitung, 24.05.2011

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Das hätte nicht passieren dürfen

Anschlag auf die Kabeltrasse der Bahn traf Haupt- und Reserveleitung, weil sie falsch verlegt waren

Peter Neumann

Der Brandanschlag am Ostkreuz hätte sich nicht so gravierend ausgewirkt, wenn bei der Planung der betroffenen Kabeltrasse ein Grundsatz beherzigt worden wäre: Zwei Leitungen mit demselben Ziel sollten nicht direkt nebeneinander liegen, damit im Notfall wenigstens eine von ihnen als Reserve dienen kann. Doch nach Informationen der Berliner Zeitung ist dies dort zumindest in einem wichtigen Fall nicht passiert. Sowohl die Haupt- als auch die Reserveleitung, die das Rechenzentrum der Deutschen Bahn (DB) in Mahlsdorf ans Internet anschließen, verliefen auf ein- und derselben Kabeltrasse - der Stahlbrücke über den Markgrafendamm, die am Montag, wie berichtet, um kurz nach drei Uhr Ziel eines Anschlags von militanten Atomkraftgegnern wurde.

Die Attacke am Markgrafendamm legte nicht nur die 30-Kilovolt-Leitungen lahm, die das S-Bahn-Netz im Osten und Südosten mit Fahrstrom versorgen. Das Feuer unterbrach auch signaltechnische Kabel und die Verbindung zu drei Stellwerken sowie mehrere Telefon- und Datenkabel. Betroffen waren unter anderem die Verbindungen zwischen dem DB-Rechenzentrum und dem Internet.

Das hatte zur Folge, dass die Internetseite www.bahn.de nicht mehr erreichbar war. Fahrgäste, die sich informieren wollten, sahen nur eine weiße Fläche - ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, zu dem der Ansturm in Berlin besonders groß war. Auch Online-Buchungen, mit denen die Bahn hohe Erträge erzielt, waren nicht möglich. Rund 800 Fahrkartenautomaten quittierten ebenfalls den Dienst. "Das ist der Super-GAU", kommentierte ein S-Bahner.

Erst von 11.45 Uhr an, als eine Ersatzverbindung geschaltet worden war, normalisierte sich die Lage wieder. Bis alle Verbindungen wieder hinreichend stabil waren, vergingen aber weitere anderthalb Stunden. Der E-Mail-Stau war sogar erst um 15.30 Uhr abgearbeitet, geht aus einer internen Analyse der Bahn hervor. Noch länger blieben 250 Ticketautomaten und zahlreiche Telefone außer Betrieb.

Inzwischen ist klar: Diese Ausfälle hätten vermieden oder zumindest stärker begrenzt werden können. Denn nach internen Angaben gab es zwei Provider: Vodafone und Versatel. "Vereinbart war, dass sie sich abstimmen, damit die Leitungen voneinander getrennt verlaufen", hieß es bei der DB. Damit sollte sichergestellt werden, dass es bei dem Ausfall eines Kabels sofort Ersatz gibt. Aber stattdessen seien beide Leitungen zum Mahlsdorfer Rechenzentrum über die Kabeltrasse am Ostkreuz geführt worden. Das war offenbar "vertragswidrig", geht aus einer Information für die Führungskräfte der Bahn hervor.

"Unsere Leitungen und Knotenpunkte sind redundant angelegt", teilte Vodafone Deutschland mit. Redundant gilt als ein anderes Wort für "doppelt". "Nur darum konnten so kurzfristig trotz des großen durch den Brandanschlag verursachten Schadens die Auswirkungen für unsere Kunden begrenzt werden", so Vodafone. Die Kabelbrücke sei "temporär", also vorübergehend, installiert worden. Laut DB bündelt sie seit 2007 bisher unterirdisch verlaufende Leitungen, damit Bagger am Ostkreuz freie Bahn haben. Weitere Angaben machte Vodafone nicht, "aus Sicherheitsgründen". Versatel möchte aus Gründen des Datenschutzes nichts über Kunden und mögliche Kunden mitteilen.

Unterdessen prüft die Bundesanwaltschaft, ob sie im Fall des Brandanschlags die Ermittlungen übernimmt. Das wäre zum Beispiel dann möglich, wenn die Tat einen terroristischen Hintergrund hat. Am Freitag ist die letzte Verkehrseinschränkung, die Folge des Anschlags war, aufgehoben worden. "Seitdem gibt es auch auf der S 75 wieder den Zehn-Minuten-Takt", teilte ein DB-Sprecher mit.

Dafür rückt ein anderes Problem in den Vordergrund. "Derzeit verzeichnen wir relativ viele Weichenstörungen", sagte ein S-Bahner. Die Ursachen sind ungeklärt. Weichenstörungen hat es bislang vor allem bei Schnee gegeben, zuletzt im vergangenen Winter.

Berliner Zeitung, 28.05.2011

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Alles wieder geflickt

Die Bahn ist öfters Ziel von Straftaten. Vor der Brandstiftung am Ostkreuz hatte ein Anschlag im November 2010 in Neukölln zu Störungen geführt.

Die zerstörten Kabel sind geflickt worden. Ob auf der Kabelbrücke die gleichen Leitungen wie früher verlaufen und ob es zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen gibt, teilt die DB nicht mit.

Der Verkehr hat sich normalisiert. Bis Montagfrüh fahren aber zwischen Ostkreuz und Schönhauser Allee keine S-Bahnen, diesmal wegen Bauarbeiten.

Berliner Zeitung, 28.05.2011

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letzte Änderung: 09.01.2024