Fahrzeugschau in Berlin anlässlich 750 Jahre Berlin - Artikel aus der Berliner Zeitung vom 13./14. Juni 1987 - |
Wiedersehen mit alten Dampfrössern Eisenbahnausstellung auf dem Wriezener Bahnhof | ||
Übermannshohe Treibräder, ölglänzende Kuppelstangen und Steuerungen - die Dampflokomotive ist noch immer für viele von faszinierender Anziehungskraft, obwohl man sie auf Reichsbahngleisen immer seltener zu Gesicht bekommt. Oder vielleicht gerade deshalb ? Aber zum Trost: Rund 100 alte Loks, Triebwagen und Waggons bleiben erhalten. Ein Drittel davon kann man seit gestern in Berlin bewundern - auf dem Wriezner Bahnhof. Im wahrsten Sinne des Wortes der "Renner" der Ausstellung: die schnellste noch betriebsfähige Dampflok der Welt, sie schafft noch heute 170 Kilometer in der Stunde ! In den 30er Jahren gebaut, zog sie einst - allerdings noch als Tenderlok - D-Züge in 100 Minuten von Berlin nach Dresden. Gleich daneben gibt´s eine Premiere: Zum ersten Mal wird ein S-Bahn-Zug mit 2. und 3. Klasse im Zustand der 20er Jahre gezeigt. Wer wieß heute noch, daß die S-Bahn einst dreifarbig war ? Weiche Plüschpolster machten damals das S-Bahn-Fahren angenehm. Allerdings nur für die "besser Betuchten" Reisenden in der 2. Klasse. Die Masse der Berliner fuhr 3. Klasse und das auf sportlich hartem Holzgestühl. Wer noch einmal so richtig echte Dampflok-Atmosphäre schnuppern möchte, kommt auf seine Kosten, denn einige der fauchenden Ungetüme sind in Aktion zu bewundern. Wer will, kann sogar auf dem Führerstand einer Lok der Baureihe 89 aus dem Jahr 1902 mitfahren. Zweimal am Tag geht ein Traditionszug auf die Reise nach Tiefensee, mit alten Wagen, wo man die Wahl hat zwischen Polster-, gehobener und niederer Holzklasse. Zeitiges Kommen sichert gute Plätze. Gezogen wird der Zug von Dampfloks aus verschiedenen Epochen. So kann man sich von einer jener alten Stadtbahnloks der Baureihe 74 gemütlich gen Norden schaukeln lassen, von denen vor Beginn der Elektrifizierung über 500 Stück die Vorort- und S-Bahngleise Berlins bevölkerten. Oder von einer Baureihe 65, die 1954 als Neuheit auf der Leipziger Herbstmesse zu sehen war. Aber auch die Gegenwart ist in der Ausstellung vertreten. Mit einer E-Lok der Baureihe 243 beispielsweise, die sich erst vor zwei Wochen den Ostbahnhof "erobert" hat. Gleich daneben steht ein nagelneuer Doppelstockwagen in freundlichem Rot-Elfenbein vom Waggonbau Görlitz. Nur eines habe ich beim Bummel durch die Vergangenheit und Gegenwart der Eisenbahn vermisst: Wo dokumentiert man die Geschichte des Schienenersatzverkehrs ? Rainer Stephan | ||